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23.07.23: Chiemgauer Alpen: Sonntagshorn-Überquerung via Nordgrat

Begonnen von geroldh, 01.08.2023, 21:51

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geroldh

Sonntagshorn zum Ersten – Sonntagshorn zum Zweiten – und Sonntagshorn zum Dritten!  ;)

Jahrelang war ich nicht mehr an diesem höchsten Berg der Chiemgauer Alpen gewesen, doch während der kalten Zeit der langen Nächte hatte ich mir noch eine dritte ,,alternative" Aufstiegsmöglichkeit für dieses Jahr vorgenommen. An diesem Berg mit seinen zwei Gesichtern – von Süden eher sanft, gutmütig - und langweilig, aber mit einer wilden, abweisenden und damit spannenden Nordseite – gilt es auf Basis einer kurzen Routenbeschreibung bzw. einem Topo im Bergführer-Büchlein (A oder B) den schwach ausgeprägten Nordgrat zu erkunden.
Sonntagshorn-Nordgrat, III (Passagen), meist II und I / 580 Klettermeter
Erstbegeher war Joseph Gmelch (1864-1947) (vgl. PDF S.10) im Jahr 1892 – aber ich denke, es ist nicht überliefert, ob er diesen Aufstieg tatsächlich noch viele weitere Male ausgewählt hat...
Absicherung (Bohrhaken) soll es keine geben – und eine mobile Absicherung sei aufgrund des sehr brüchigen Gesteins ebenfalls nicht einfach.
Charakterbeschreibung: ,,Anfangs düstere, gestufte Rinnenkletterei. Darauf folgt ein erst steiler dann flacher werdender, stellenweise ausgesetzter und ebenfalls ziemlich brüchiger Grat."
Als Abstieg ist angegeben / empfohlen: Der Ostgrat mit abklettern (I) über plattige Schrofen hinab in Scharte (Wegweiser) und dann nordseitig durch das Schuttkar hinab...

Im Internet war mit Sonntagshorn-Nordgrat und... nur dieser bebilderte Tourenbericht vom August 2016 als weitere Referenz zu finden – der alte AV-Führer blieb unberücksichtigt.
Darin wird resümiert: ,,Die Schlucht zum Nordgrat empfanden wir mit ihrem festen Fels in wildem Ambiente als absolut lohnend. Man sollte hier wohl am besten nach einer längeren warmen und trockenen Phase einsteigen. Es finden sich Stellen III- und eine Stelle III, die nicht umgangen werden können. Der Nordgrat wird dann leider zunehmend brüchiger, bietet dafür viele Routenvariationen, so dass man nicht schwieriger als II aufsteigen muss."

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Über Ruhpolding fahren wir – heute unterwegs mit Herbert – in Richtung Laubau, können aber etwas vor dem üblichen Ausgangspunkt, dem (kostenpfl.) Parkplatz Holzknechtmuseum (690 m) das Auto direkt neben der Deutschen Alpenstraße (B 305) im Bereich einer Parkbucht abstellen (ca. 8:30 Uhr). Unsere Räder sind mit dabei – und ganz ohne lästigen Forststrassen-Hatscher wird alsbald die Schwarzachenalm (760 m / ca. 8:45 Uhr) erreicht. Die Spuren im morgendlichen Tau des Grasbewuchses hatten es schon angedeutet, wir sind bei weitem nicht allein und zahlreiche Räder parken bereits neben dem Bach am Beginn des Pfads in die beiden Kraxenbachtäler hinein.
Den Pfad hinauf zur Hinteren Kraxenbachalm Diensthütte (1237 m / ca. 10:15 Uhr) kenne ich von meiner ,,ersten" Tour, der Brunnen bietet beste Gelegenheit die Trinkflasche nochmals zu befüllen. Wenig später treffen wir auf die ersten Bergler, die uns bereits im Abstieg entgegenkommen: Es sind Vater und jugendlicher Sohn – und auf meine Anfrage hin bekommen wir die Info, dass sie bereits vom Gipfel des Sonntagshorns herunterkommen. Aha, damit dürften sie bereits vor sechs Uhr morgens an der Schwarzachenalm ihre Radl abgestellt haben, um die sonst übliche Runde mit Aufstieg via Mittlerem Kraxenbachtal, sowie Großer Sand und Westgrat zu absolvieren.

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Im Büchlein steht bzgl. dem Zustieg geschrieben: ,,Ungefähr 20 Minuten nach der Diensthütte und noch bevor man das Geröll des großen Schuttkars erreicht, hält man sich rechts und steigt zu einer markanten, dunklen Schlucht empor, die bis zur Kraxenbachschneid hinaufzieht."
Inmitten des Latschenbereichs ist mal eine Spur zu erkennen, die nach halbrechts vom markierten Steig wegzieht, doch da wir noch etwas weit von der Schlucht entfernt sind, trauen wir ihr nicht ganz und bleiben doch noch auf dem gut begehbaren Steig. Ohne dass es nochmals eine gute Möglichkeit gegeben hätte, erreichen wir tatsächlich den auslaufenden Geröllbereich des Schuttkars auf ca. 1450 m, von wo es uns möglich ist, am Rand der Latschenzone leicht ansteigend zum Einstieg bei ca. 1500 m der überwiegend trockenen Schlucht zu queren (11:15 Uhr).

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Der Blick auf das Topo verrät uns, dass die Schlucht – etwa das erste Drittel des Kletteraufstiegs – eine überwiegend gestufte (Geröll)Rinne darstellt, in der bereits 2x die UIAA III angegeben ist. Herbert nimmt den ersten kleinen Aufschwung unter die Finger – und meint aufgrund der festgestellten Brüchigkeit des Felses: ,,Wollen wir uns das wirklich antun?" – ,,Ich hoffe, dass es oben besser wird." Höre ich mich sagen – und damit kraxeln wir vorsichtig diese obere IIer-Stelle hinauf. Mit vergleichbarer Schwierigkeit geht es über die nächsten beiden Aufschwünge, dann kommt auch schon die erste IIIer Wandstufe. Diese nehmen wir ganz rechts, was oben aber zur Folge hat, dass wir im kleinschuttigen Geröll auf glattem Fels etwas hinab zurück in das Bachbett kraxeln dürfen. Na ja, so besonders lohnend ist dieser Aufstieg bisher nicht, jedenfalls was das Klettern anbelangt.

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geroldh

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Wir haben unsere Kletterausrüstung hinten im Rucksack dabei, doch hier muss am besten ganz umsichtig frei gekraxelt werden, denn einen guten Sicherungspunkt (z.B. Spalt für einen Keil) zum Nachsichern zu finden ist praktisch aussichtslos. Das Gelände dagegen ist interessant, links steilt der Fels - teilweise mit Löchern durchsetzt - steil auf, und rechts sind oft die plattigen Gesteinsschichten aufgeschlossen. Noch eine IIIer Stelle (,,kurzer Überhang") ist zu meistern, etwas Schutt zu queren, dann stehen wir auch schon auf der kleinen Scharte (ca. 1630 m / 12:15 Uhr), an der der Kamm ,,Kraxenbachschneid" in den schwach ausgeprägten Nordgrat des Sonntagshorn-Bergstocks übergeht ...

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... und können einerseits in das Mittlere Kraxenbachtal hinab, aber auch den ,,Weiterweg" hinauf sehen. Die Schlucht setzt sich hier südlich abknickend in einer unterschiedlich breiten und tiefen Rinne fort, die bis fast zum Gipfel hinaufzieht, doch rechts/westlich davon ist ein kleines Wandl mit einem einzelnen Baum weiter oben. Angegeben mit einer III, und so kleingriffig/trittig der spröde Fels ist, packen wir hier unser mitgetragenes Material aus und ziehen auch die Kletterschuhe an, geben diese auch weitere Sicherheit. Herbert steigt bis zum Baum hinauf vor (ohne Zwischensicherung, s.o. / ca. 30 Seilmeter) und holt mich vom dortigen Ankerpunkt nach. Mit guter Klettererfahrung (und höherem Risiko) lässt sich diese Stelle auch frei und mit Bergtretern bewältigen, aber besser ist eine Risikoreduktion allemal.
Nach dem Durchsteigen eines kleinen Latschenfeldes, das Seil ist wieder im Rucksack, suchen wir das für uns am vernünftigste erscheinende Gelände, die Topo bleibt wohl näher neben der Rinne linkerhand, wir orientieren uns die Hindernisse eher rechts umgehend nach oben. Der direkte Kontakt mit dem gewachsenen Felsen wird immer weniger, denn je weiter wir nach oben kommen und sich das Gelände etwas zurück neigt, desto mehr plattiger Schutt liegt herum. Allerdings nehmen die Vegetationspolster zu und diese stellen mitunter noch die stabilere Materie in diesen Schrofen dar.

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Als eine ausgetretene Spur unterhalb des dreistufigen Wandgürtels quert – ich erkunde diese etwas nach Westen, sie zieht dort leicht nach unten... – verlassen wir die ,,Original-Topo" ganz, sparen uns damit weiteren steilen Schutt, und suchen uns in östlicher Richtung den Anschluss an den ,,Ostgrat-Steig", um darauf den Gipfel des Sonntagshorns (1961 m / 14:00 Uhr) zu erreichen. Die Rast ist obligatorisch, allerdings haben wir im Bereich des Kreuzes keinen Frieden, es schwirren unzählige Fliegen herum und lassen die Pause (leider ohne Gipfelbier) verkürzt ausfallen.

Nun steigen wir auf dem mir bereits bekannten Westgrat hinab zur Reifelbergscharte (ca. 1715 m), finden nun auch auf Anhieb den Einstieg in die steile Rinne, die uns mit der Querung auf dem schuttigen Band und einer weiteren steilen Rinne auf das Kar ,,Großer Sand" hinableitet. Ein Abfahren im Geröll ist hier weniger möglich, doch etwas später gehen wir an der Vorderen Kraxenbachalm Diensthütte (ca. 1250 m) vorbei und finden etwas unterhalb an einem kleinen zu querenden Bach erfrischendes und durstlöschendes Wasser. Der Steig führt noch ein weiteres Mal über den Hauptbach und etwas froh bin ich heute schon, alsbald auch die Furt (ca. 790 m) über den größeren Danzingbach erreicht zu haben, denn nun ist die Schwarzachenalm (760 m / ca. 17:00 Uhr) mit Bier und Kuchen nicht mehr weit.
Äußerst angenehm ist nun auch das Hinausfahren mit dem Radl auf der Forststrasse zum Auto – die Länge dieser Tour war mir heute ganz recht, es muss am Sonntagshorn nicht jedes Mal bis in die Dämmerung hinein dauern...

PS: Was die ,,Wiederholungsgefahr" dieser Route betrifft (dann als freie Kraxelei) bin ich mir auch Tage später noch nicht sicher – lohnender (und sicherer) sind Touren im festen Fels z.B. des Kaisergebirges definitiv.