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Botanische Wanderung im Geigelstein-Gebiet


Der Blumenberg vom Chiemgau

Diesen interessanten Beitrag hat uns Dr. Markus Höper aus Aschau freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Er beschreibt eine botanische Wanderung im Geigelstein-Gebiet. Die Abbildungen sind nur erwähnt, aber auf dieser Internet-Seite nicht vorhanden. Der Beitrag mit sämtlichen Bildern ist in einem Aschauer Quellenband erschienen und kann unter folgender Anschrift erworben werden: Tourist-Information 83221 Aschau i. Ch., Kampenwandstr. 38, Tel. 08052/904937, Fax 904945, E-Mail: info@aschau.de


Das Gebiet um den Geigelstein nimmt im Gemeindegebiet und darüber hinaus eine ganz besondere Stellung ein. Zu Recht wir der Geigelstein „Blumenberg“ genannt, denn hier finden wir noch zahlreiche Pflanzen, die wir woanders vergeblich suchen. Eine exemplarische Wanderung durch das Gebiet mit besonderem Augenmerk auf die Pflanzenwelt soll dem Leser einen Einblick in die Reichhaltigkeit der heimischen Flora geben. Typische Vegetationseinheiten mit ihren charakteristischen und besonderen Pflanzen sollen dabei beleuchtet werden. Was den Artenreichtum anbelangt, treten die nördlichen Gebiete der Gemeinde Aschau (Kampenwand-Gebiet) gegenüber dem Geigelstein-Gebiet deutlich zurück. Ein Überblick über die Flora des Geigelstein-Gebietes umfasst gleichzeitig die Alpen-Flora des restlichen Gemeindegebietes.

Aufgabe dieser Beschreibung soll es nicht sein, eine genaue pflanzensoziologische Beschreibung für das Gebiet vorzulegen, so wie sie beispielsweise Smettan [i] für das benachbarte Kaisergebirge vorgenommen hat. Aus Gründen des Artenschutzes verzichte ich darauf, punktgenaue Ortsangaben von bestimmten Pflanzenarten zu machen.

Der Verlauf der Wanderung ist wie folgt: Ausgangspunkt ist der Weiler Grattenbach (700 m) im Priental, etwa 3 Kilometer nordöstlich von Sachrang gelegen. Man wandert am Grattenbach entlang, zunächst in südöstlicher Richtung bis auf eine Höhe von 900 m, dann in östlicher Richtung bis zur bei 1000 m hoch gelegenen Diensthütte. Etwas oberhalb der Diensthütte überquert man den Grattenbach, der bisher breite Weg ist ab hier nur noch ein schmaler Steig, der in nordöstlicher Richtung zur mittlerweile verfallenen Aschental-Alm (1357 m) führt. Von hier geht es ein kurzes Stück in südlicher Richtung zu einer weiteren Diensthütte (1440 m): Es folgt noch ein kurzes Wegstück im Wald; danach geht es über recht steile Hochstaudenfluren zum Rossalm-Plateau hinauf. Die Aschentaler Wände dachen das Rossalm-Plateau nach Norden hin ab und sind nicht nur in floristischer Hinsicht ein lohnendes Ziel. Von der Rossalm (1700 m) geht es in südlicher Richtung bis zum Rosskopfsattel und schließlich über den kurzen Gipfelanstieg zum Geigelstein (1818 m). Wir wandern nach der Gipfelbesteigung in nördlicher Richtung zurück zur Rossalm, dann in östlicher Richtung zum Weitlahnerkopf (1615 m). In nördlicher Richtung steigt man dann zu den Dalsen-Almen (1050 m) und in westlicher Richtung durch den Klausgraben bis zum Weiler Hainbach (670 m) im Priental ab.

Der Übersichtlichkeit halber führe ich die genannten Streckenabschnitte der Wanderung noch einmal tabellarisch auf.

1. Grattenbach – Diensthütte (Schindltal, 1000 m)
2. Diensthütte – Aschental-Alm ‑ Rossalm-Plateau (Aschentaler Wände)
3. Rossalm – Geigelstein
4. Geigelstein – Weitlahnerkopf
5. Weitlahnerkopf – Dalsen-Almen ‑ Hainbach


Der erste Streckenabschnitt entlang des Grattenbachs bis zur Diensthütte gibt uns Gelegenheit, den pflanzlichen Artenreichtum des Bergwaldes kennenzulernen. In dem stark eingeschnittenen Tal des Grattenbachs herrschen verschiedene Buchen-Waldtypen sowie der Berg-Schluchtwald vor, Waldtypen, die Smettan [ii] recht ausführlich in seinen verschiedenen Ausprägungen (Assoziationen) beschreibt, die hier am Grattenbach; wie überhaupt im meist steilen Gelände der Kalk-Alpen; sehr engräumig miteinander verzahnt sind und einander durchdringen.


Meist dominiert die Buche in der Baumschicht. Fichte, Tanne, Bergahorn, Esche, Lärche, Mehlbeere, Bergulme u.a. sind je nach Bodentyp, Hangneigung, Exposition, Feuchtigkeit, Felsigkeit und anderen Standortfaktoren in wechselnden Anteilen beigemengt, teilweise tritt die Buche auch zurück oder fehlt an einigen Standorten ganz, z.B. auf sauren Rohhumusböden, auf Blockhalden, in Schluchten in Bachnähe, an Steilhängen. Die Krautschicht ist ungemein artenreich. Häufig treten auf: Waldbingelkraut (Mercurialis perennis), Einbeere (Paris quadrifolia), Leberblümchen (Hepatica nobilis), Gemeiner Wurmfarn (Dryopteris filix-mas), Lanzen-Schildfarn (Polystichum aculeatum), Wald-Frauenfarn (Athyrium filix-femina), Klebriger Salbei (Salvia glutinosa), Wolfs-Eisenhut (Aconitum vulparia), Hainsalat (Aposeris foetida), Goldnessel (Lamiastrum galeobdolon), Haselwurz (Asarum europaeum), Sanikel (Sanicula europaea), Hasenlattich (Prenanthes purpurea), Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis), Alpen-Kälberkropf (Chaerophyllum villarsii), Schwarzviolette Akelei (Aquilegia atrata), Wald-Habichtskraut (Hieracium sylvaticum), Hain-Gilbweiderich (Lysimachia nemorum), Große Schlüsselblume (Primula elatior), Goldrute (Solidago virgaurea), Mauerlattich (Mycelis muralis). Christophskraut (Actaea spicata), Wald-Geißbart (Aruncus dioicus), Finger-Zahnwurz (Dentaria pentaphyllos), Geflecktes Knabenkraut (Dactylorhiza maculata), Berg-Flockenblume (Centaurea montana), Großes Zweiblatt (Listera ovata) u.a.


Dort, wo der Berg-Mischwald nicht so dichtwüchsig ist, also mehr Sonnenlicht die Baumschicht passieren kann, wird die Krautschicht meist von Gräsern dominiert. Zwischen den Gräsern findet man auch licht- und wärmeliebende Blütenpflanzen, oder anspruchsvollere Halbschattenpflanzen. Zu letzteren gehört der seltene Frauenschuh (Cypripedium calceolus), eine unserer prächtigsten Orchideen, die hier im Geigelstein-Gebiet mit einigen wenigen Exemplaren vertreten ist. Man kann nur hoffen, dass uns diese wenigen Vorkommen erhalten bleiben, denn im Gegensatz zu anderen Gebieten, z.B. der Halbinsel St. Bartholomä am Königsee, wo der Frauenschuh große Bestände bildet und gruppen- bzw. scharenweise wächst, bestehen die mir bekannten Frauenschuh-Vorkommen im Geigelstein-Gebiet aus einigen wenigen Einzelpflanzen oder zerstreut stehenden Grüppchen von zwei oder drei Exemplaren. Interessant ist der Frauenschuh auch hinsichtlich der Bestäubungseinrichtung. Aichele/Schwegler [iv] führt hierzu aus: Die Frauenschuhblüte ist eine Kesselfalle. Der Glanz der gelben Unterlippe lockt vornehmlich Fliegen, denen allerdings im Innern kein Futter geboten wird. Statt dessen ist der Weg für sie ins Freie von durchscheinenden Punkten in der Kesselwand markiert und hier – sonst glatt – durch Haare griffig. Er führt so geschickt an der Narbe und danach an dem spezialisierten Orchideenstaubblatt vorbei, dass Blütenbesucher, die zuvor schon in eine Frauenschuhblüte geraten waren und dort ein Pollenpaket mitgenommen hatten, das Paket an der Narbe abstreifen müssen, ehe sie sich erneut beladen.


Oberhalb der erwähnten Diensthütte quert der nun schmal gewordene Weg den Grattenbach und führt über locker bewaldete, sonnige Hänge aus dem schattig-feuchten Talgrund heraus. Es fällt sofort auf, dass nun ganz andere Pflanzen das Bild bestimmen. In den Grashalden, die meist vom Buntreitgras (Calamgrostis varia), dem Blaugras (Sesleria albicans) und der Horst-Segge (Carex sempervirens) gebildet werden, wachsen auf flachgründigen Rendzina-Böden z.B. Ochsenauge (Buphthalmum salicifolium), Alpen-Distel (Carduus defloratus), Glänzende Skabiose (Scabiosa lucida), Alpen-Leinblatt (Thesium alpinum), Hufeisenklee (Hippocrepis comosa), Ungleichblättriges Labkraut (Galium anisophyllon), Alpen-Wundklee (Anthyllis vulneraria ssp. alpestris), Alpen-Steinquendel (Acinos alpinus), Ästige Graslilie (Anthericum ramosum), Brand-Knabenkraut (Orchis ustulata), Frühblühender Thymian (Thymus praecox), Breitblättriges Laserkraut (Laserpitium latifolium), Alpen-Heckenkirsche (Lonicera alpigena), Kugelige Teufelskralle (Phyteuma orbiculare), Brillenschötchen (Biscutella laevigata), Akeleiblättrige Wiesenraute (Thalictrum aquilegifolium), Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria), Schwalbenwurzenzian (Gentiana asclepiadeia) u.v.a.


Dort, wo die Fichte dominiert – sei es als natürlicher Fichtenwald oder als Forst; und in relativ geschlossenen Beständen für schattige Verhältnisse sorgt, meist verbunden mit einer Rohhumusauflage, beherrschen in der Krautschicht ganz andere Pflanzen das Bild. Auf dem oft moosreichen Boden finden wir u.a. Wald-Sauerklee (Oxalis acetosella), Wald-Wachtelweizen (Melampyrum sylvaticum), Wald-Hainsimse (Luzula sylvatica), Weißliche Hainsimse (Luzula luzuloides), Moos-Nabelmiere (Moehringia muscosa), Alpenlattich (Homogyne alpina), Blaubeere (Vaccinium myrtillus), Sprossender Bärlapp (Lycopodium annotinum), Tannen-Bärlapp oder Teufelsklaue (Huperzia selago) u.a. Selten findet man hier das kleinwüchsige Einblütige Wintergrün (Moneses uniflora), das sein schönes Blütensternchen zum Boden nicken lässt. An solchen Standorten kann man manchmal eine ganz und gar unauffällige Orchidee entdecken, die meist bloß etwa 10 Zentimeter große Korallenwurz (Corallorhiza trifida), die ihren Namen von dem korallenartig verzweigten Rhizom (unterirdisches Speichergewebe) hat. Diese Pflanze ist ein Saprophyt, bezieht also seine Energie überwiegend durch den Abbau organischen Materials und kommt daher ohne Laubblätter aus (immerhin ist der Stengel grün und einige Schuppenblätter umschließen den Stengel am Grund, so dass diese Schattenpflanze nicht ganz auf die Photosynthese verzichtet. Diese kleine Orchidee ist so unauffällig, dass man sie schon suchen muss, sonst übersieht man sie nur allzu leicht.


Zwar nicht direkt auf dem angegebenen Weg, sondern ein ganzes Stück nördlich der Aschental-Alm, wartet das Geigelstein-Gebiet mit einer weiteren floristischen Besonderheit auf, der Gewöhnlichen Natternzunge (Ophioglossum vulgatum), die hier in einer wechselnassen Magerwiese einen größeren Bestand hat und zudem auf einer Höhe von 1110 m den bisher höchsten bekannten Fundort in den Bayerischen Alpen hat. Der Artname „vulgatum“ = „gemein“, „gewöhnlich“ verrät, dass dieser heute so seltene Farn früher einmal gar nicht so selten gewesen ist. Wie Düll/Kutzelnigg[v] ausführen ist diese Pflanze früher als Wundheilmittel verwendet worden.


Hat man den unteren Teil der ehemaligen Almfläche der Aschental-Alm erreicht, leuchten einem im Sommer die Blütenstände der Wollköpfigen Kratzdistel (Cirsium eriophorum) entgegen, die ihren Namen von den wollig behaarten Hüllblättern hat. Die großen, einzeln auf bis zu 2 Meter hohen Stengeln stehenden Köpfchen (Blütenstand und Hülle) machen diese relativ seltene Distelart zu einem der spektakulären Vertreter der heimischen Flora.


Hat man nach dem Passieren der geschützt liegenden Diensthütte, einem kürzeren Waldabschnitt den steilen, mit Hochstauden bewachsenen Südhang erklommen, hat man ein wichtiges Etappenziel erreicht, das Rossalm-Plateau. Schon von weitem kann man die stattlichen Gestalten des Punktierten Enzians (Gentiana punctata) mit seinen blassgelben Blüten und den braunrot blühenden Ungarischen Enzian (Gentiana pannonica) sehen.


Man kann entweder zur Ross-Alm weitergehen oder den lohnenden Abstecher zu den Aschentaler Wänden machen, wozu man nur den kleinen Anstieg nach Norden (Südhang) bewältigen muss. Schon hier werden die bisherigen Aufstiegsmühen mit zahlreichen Exemplaren des nach Vanille duftenden Schwarzen Kohlröschens (Nigritella nigra) belohnt. Zu den ökologischen Ansprüchen zu dieser Orchidee schreibt Aichele/Schweigler [vi]: Das Schwarze Kohlröschen (ebenso wie das Rote Kohlröschen, Anm. d. Verf.) ist ausgesprochen düngerfeindlich und verschwindet daher bei intensiver Düngung rasch. Auch sollte man darauf achten, nicht unversehens auf ein Exemplar des seltenen Mondrautenfarns (Botrychium lunaria) zu treten, der hier sein unauffälliges Dasein zwischen den Horsten des Borstgrases (Nardus stricta) fristet. Hier blüht auch das reizend aussehende, mittlerweile geschützte Katzenpfötchen (Antennaria dioica), das hier in dem kalkarmen Borstgras-Magerrasen vorzügliche Bedingungen vorfindet. Der laut Hegi[vii] im Bairischen besser als „Katzenpratzerl“ bekannte Körbchenblütler hat seinen Namen von der weichen, wolligen Behaarung der Pflanze, besonders der Blätter.


Hat man die Aschentaler Wände erreicht, bietet sich dem Wanderer ein atemberaubender Ausblick nach Norden auf das Kampenwand-Massiv, auf den zum Klausgraben steil abfallenden Nordhang des Geigelstein-Massivs, sowie auf die meisten Berge rund um das Geigelstein-Gebiet.


In den Aschentaler Wänden wachsen eine ganze Reihe von Pflanzen, die man in den Chiemgauer Bergen sonst nicht findet. Dazu gehört die eigentümliche Gestalt der Zwerg-Alpenscharte (Saussurea pygmaea), ein Korbblütler, dessen Köpfchen auf sehr kurzen Stengeln stehen und der grasähnliche Blätter hat. Hegi [viii] bemerkt, dass diese Pflanze in Bayern sonst nur noch in den Berchtesgadener Alpen, dem Karwendel, auf der Roten Wand, dem Wendelstein, der Aiplspitze und dem Planberg vorkommt. Ebenfalls in den Aschentaler Wänden blüht zwischen den attraktiven Blütenständen der seltenen Schwarz-Segge (Carex atrata) der Alpen-Süßklee (Hedysarum hedysaroides), von dem Bresinsky/Schönfelder[ix] auch nur wenige Fundorte in den Bayerischen Alpen aufführt.


Auf der Nordseite der Aschentaler Wände herrscht eine Pflanzengesellschaft vor, die als Polsterseggen-Rasen (Caricetum firmae) bekannt ist. Reisigl/Keller[x] schreibt, die Polstersegge (Carex firma) ist eine kälte- und windharte Pionierpflanze, die im Kalkfels und –schutt kleinflächige, lückige Rasen bildet. Die harten Halbkugelpolster mit den sternartig starren, dunkelgrünen Blättern wurzeln nur oberflächlich. Sie sitzen ± dem Fels auf und werden daher durch Steinschlag und Lawinen immer wieder in die Tiefe gerissen. In der Tat ist die Nordseite der Aschentaler Wände ein Extremstandort und man kann hier die von der Polstersegge gebildeten typischen Treppenrasen gut beobachten. Zwischen der Polstersegge wachsen hier häufig der weißblühende Alpen-Hahnenfuß (Ranunculus alpestris), der Zwerg-Schwingel (Festuca pumila), das Kopfige Läusekraut (Pedicularis rostrato-capitata), das Blaugras (Sesleria albicans), der Milchweiße Mannsschild (Androsace lactea), das Zweiblütige Veilchen (Viola biflora), die Zwerg-Glockenblume (Campanula cochleariifolia), das Sonnenröschen (Helianthemum nummularium), die Silberwurz (Dryas octopetala), bisweilen auch das Alpen-Fettkraut (Pinguicula alpina) u.a.


Eine weitere Besonderheit des Geigelstein-Gebietes ist das Vorkommen der kalkgebundenen Bewimperten Alpenrose (Rhododendron hirsutum) und der Rostblättrigen Alpenrose (Rhododendron ferrugineum), die kalkarmen Untergrund bevorzugt, auf engem Raum. Düll/Kutzelnigg [xi] führt aus, dass der Jahreszuwachs der heimischen Alpenrosen-Arten, auch Almrausch genannt, nur etwa 1/25 normaler Laubbaumarten aufweist. Das heißt, so mancher stattliche Strauch des Almrauschs kann schon ein Methusalem sein, auch wenn er nur einen Meter Höhe erreicht. Neben den beiden einzigen heimischen Rhododendron-Arten findet man im Geigelstein-Gebiet auch noch die Zwerg-Alpenrose (Rhodothamnus chamaecistus).


Das Rossalm-Plateau bietet noch so manche botanische Freude, aber wir wollen uns Richtung Geigelstein-Gipfel auf den Weg machen. Hat man eine kleine Anhöhe südlich der Rossalm erreicht, geht man nahezu eben auf gut 1700 m Höhe durch Latschengebüsch und Hochstaudenfluren. Neben den Latschen, den hauptsächlichen Bildnern des sogenannten Krummholzgürtels, sieht man auch Almenrausch, an wasserzügigen Stellen wächst die als Almen-Unkraut gefürchtete Grünerle (Alnus viridis), zerstreut entdeckt man auch einen hochwüchsigen Korbblütler mit zart blauen Blütenköpfchen, das ist der Alpen-Milchlattich (Cicerbita alpina), eine Pflanze, von der Hegi[xii] schreibt, der Genuss der Pflanze soll nach dem Volksglauben die Milchabsonderung des Viehs sehr befördern. Ob es stimmt, werden wahrscheinlich nur noch einige Almbauern wissen. Allmählich rückt der Gipfel des Geigelstein in das Gesichtsfeld des Wanderers. Nach einem kurzen Wegstück Richtung Osten erreicht man den Rosskopfsattel. Eine der besonders schmucken Blumen in unmittelbarer Nähe der Sattelmulde ist Stengellose Leimkraut (Silene acaulis), ein Nelkengewächs mit zarten rosa Blüten, das flache Polster bildet. Östlich unterhalb der Mulde fallen einige Quellfluren auf: Hier wachsen das Alpenmaßliebchen (Aster bellidiastrum), Breitblättriges Wollgras (Eriophorum latifolium), Scheuchzers Wollgras (Eriophorum scheuchzeri), die Rost-Segge (Carex ferruginea), Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris), Kelch-Simsenlilie (Tofieldia calyculata) , Sumpf-Dotterblume (Caltha palustris), das Alpenglöckchen (Soldanella alpina), der Fetthennen-Steinbrech (Saxifraga aizoides), der seltene Kronenlattich (Calycocorsus stipitatus) u.a.m.


Den Gipfel des Geigelsteins erreicht man nach kurzem Anstieg auf einem schmalen Weg zwischen Latschengebüsch von Norden her. Man hat hier mit 1808 m den höchsten Gipfel der Gemeinde Aschau erreicht und hat von hier aus einen fabelhaften Ausblick. Aber nicht nur die Aussicht ist erfreulich, sondern auch der Blick auf den Boden, denn besonders die Südostabdachung des Geigelsteins sowie dessen Südseite (Abstieg zur Wirtsalm) bieten dem botanisch Interessierten so einige Schmankerl. Genannt seien an dieser Stelle der Berg-Spitzkiel (Oxytropis jaquinii), die Herzblättrige Kugelblume (Globularia cordifolia), Aurikel oder Gamsbleamal (Primula auricula), das Kopfige Läusekraut (Pedicularis rostrato-capitata), Augenwurz (Athamanta cretensis), Zwerg-Schwingel (Festuca pumila), Kriechendes Gipskraut (Gypsophila repens). Eine Rarität ist der Zwerg-Kreuzdorn (Rhamnus pumilus), der zwischen Felsspalten als Zwerg-Baum hier einen extremem Standort besiedelt.


Wiederholt wurde mir mündlich versichert, dass es am Geigelstein auch heute noch das Edelweiß gibt (Leontopodium alpinum) gibt. Ringler[xiii] schreibt hierzu: Fast unglaublich klingt es, wenn man hört, daß auf den Rosenheimer Bergen sogar das vielgerühmte Edelweiß seinen Standplatz hat. Und doch ist es kein Märchen. Alteingesessene bestätigen die Aussagen ihrer Vorfahren über ein auch heute noch bestehendes Vorkommen am Geigelstein, das allerdings in neuerer Zeit durch künstliche Ansamung vor der endgültig bevorstehenden Ausrottung bewahrt wurde. Man wird verstehen, dass der genaue, von der Bergwacht beschützte Standort nicht veröffentlicht werden kann.


Verlässt man nun den Gipfel des Geigelsteins und begibt sich zum Rosskopfsattel bemerkt man den völlig verschiedenen Charakter der Hangseiten östlich und westlich der Sattelmulde. Nach Westen erstreckt sich ein langer Grashang mit ausgedehnten Kalkmagerrasen, nach Osten fällt der Geigelstein steil ab und man blickt in einen Schuttkegel mit ausgedehnten Schutthalden. Einige Pflanzen, die diese verschiedenen Lebensräume besiedeln, seien kurz erwähnt.


Der Hang zwischen Oberkaser-Alm und Rosskopfsattel beherbergt eine schöne Kalk-Magerrasen-Flora. Erwähnt seien hier nur Kugelorchis (Traunsteinera globosa), Rauher und Stengelloser Enzian (Gentianella aspera, Gentiana clusii), Mückenhändelwurz und Wohlriechende Händelwurz (Gymnadenia conopsea, Gymnadenia odoratissima), Frühlingsenzian oder Schuasternagerl (Gentiana verna), Zierliche Sommerwurz (Orobanche gracilis), Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride), Weiße Höswurz oder Weißzüngel (Pseudorchis albida), Schwarzes Kohlröschen (Nigritella nigra) u.v.a.


Wendet man sich der mit Felsschutt bedeckten Ostflanke des Geigelsteins zu, ziehen ganz andere Pflanzen des Blick auf sich. Genannt seien hier das hübsche Alpen-Leinkraut (Linaria alpina), Kugelschötchen (Kernera saxatilis), Grüner Alpendost (Adenostyles glabra), Rauher Löwenzahn (Leontodon hispidus), Bittere Schafgarbe (Achillea clavennae), Taubenkropf-Leimkraut (Silene vulgaris), Berg-Hahnenfuß (Ranunculus montanus), Sägeblättrige Wucherblume (Leucanthemum atratum), Ochsenauge (Buphthalmum salicifolium), Zottiges Habichtskraut (Hieracium villosum), Schnittlauch (Allium schoenoprasum). Glänzende Skabiose (Scabiosa lucida), Salzburger Augentrost (Euphrasia salisburgensis), Purgier-Lein (Linum catharticum), Horst-Segge (Carex sempervirens), Blau-Gras (Sesleria albicans), Scheidige Kronwicke (Coronilla vaginalis), Hufeisenklee (Hippocrepis comosa), Horn-Klee (Lotus corniculatus). Erwähnt sei hier noch der Allermannsharnisch (Allium victorialis), eine in den Bayerischen Alpen seltene Lauch-Art, die im Schuttkegel des Geigelsteins ausgedehnte und dichte Bestände bildet. Aichele/Schwegler[xiv] schreibt zu dieser Pflanze: Der Allermannsharnisch gehört zu den Pflanzen, denen Abergläubige Zauberkraft zuschrieben. Der (von dichten Fasern, Anm. d. Verf.) wegen sollte er den, der sie trägt, unverwundbar machen. Die dichte Faserschicht sollte das geknüpfte, schützende Kettenhemd der alten Ritter symbolisieren.


Haben wir auf dem Rückweg wieder die Rossalm erreicht, sollten wir es nicht versäumen, den Weitlahnerkopf (1615 m) zu besuchen, der bequem zu erreichen und den nordöstlichen Abschluss des Rossalm-Plateaus bildet. In der Nähe des Weitlahnerkopfes erwartet uns mit der seltenen Strauß-Glockenblume (Campanula thyrsoides) noch eine botanische Rarität. Außer in den Allgäuer Hochalpen, wo die Strauß-Glockenblume noch häufiger ist, führt Schönfelder/Bresinsky[xv] von dieser Glockenblumen-Art nur noch zwei weitere Messtischblatt-Quadranten an, in denen sie vorkommt. Ringler[xvi] schreibt: Die seltene Straußblütige Glockenblume muss als besonders schützenswerte Art erwähnt werden, weil sie hier wahrscheinlich den einzigen Standort im Landkreis hat. Ein weiterer Fundort ist von dieser Pflanze auch seit dem Erscheinen von Ringlers Buch nicht mehr bekannt geworden, so dass dieser Standort mit Fug und Recht als der einzige im Chiemgau bezeichnet werden kann.


Vom Weitlahnerkopf steigt man nun nach Norden zu den Dalsen-Almen ab. Auch hier muss man keine botanische Einseitigkeit befürchten. In den Rost-Seggenhalden unterhalb des Weitlahnerkopfs findet man noch einmal eine bunte Blumenpracht vor. Neben der vegetationsbestimmenden Rost-Segge (Carex ferruginea) wachsen hier unter anderem Berg-Baldrian (Valeriana montana), Soldanelle (Soldanella alpina), Alpen-Fettkraut (Pinguicula alpina), Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris), Fetthennen-Steinbrech (Saxifraga aizoides), Zweiblütiges Veilchen (Viola biflora), Kelch-Simsenlilie (Tofieldia calyculata), Alpen-Maßliebchen (Aster bellidiastrum), Kugelige Teufelskralle (Phyteuma orbiculare), Mutterwurz (Ligusticum mutellina), einem Doldenblütler, zu dem Aichele/Schwegler[xvii] ausführt: Die Alpen-Mutterwurz gilt als sehr gutes Futterkraut. Früher wurde sie auch als Würze verwendet und war örtlich Bestandteil der Kräuterkäse. Ihr Gebrauch als Heilpflanze ist weitgehend außer Mode gekommen. Dem ätherischen Öl wurde appetitanregende Wirkung zugeschrieben. Des weiteren finden wir hier Einblatt-Orchis (Malaxis monophyllos), Grüne Hohlzunge (Coeloglossum viride), Gezähnten Moosfarn (Selaginella selaginoides) u.v.m.


Wenn man von den Dalsen-Almen westwärts durch den Klaus-Graben nach Hainbach absteigt, kann man noch einmal die ganze Fülle der Pflanzen des Berg- und Schluchtwaldes erleben, ähnlich wie beim Aufstieg am Grattenbach. Diese exemplarische Wanderung lässt den Wanderer erleben, welche Vielfalt an Pflanzen in unserer Heimat an weitgehend natürlichen oder nur extensiv genutzten Standorten vorkommen. Vollständigkeit der Lebensräume und Arten konnte im Rahmen dieser Ausführungen nicht angestrebt werden


[i] Smettan, Die Pflanzengesellschaften des Kaisergebirges/Tirol.

[ii] Smettan, Die Pflanzengesellschaften des Kaisergebirges/Tirol, S. 154ff.

[iii] Lippert, Ber. Bay. Bot. Gesellschaft 57, S. 182.

[iv] Aichele/Schwegler, Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Bd. 5, S. 153.

[v] Düll/Kutzelnigg, Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch, S. 234.

[vi] Aichele/Schwegler, Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Bd. 5, S. 170.

[vii] Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa, Bd. VI, Teil 3, S. 129.

[viii] Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa, Bd. VI, Teil 4, S. 836

[ix] Schönfelder/Bresinsky, Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Bayerns, Nr. 941.

[x] Reisigl/Keller, Alpenpflanzen im Lebensraum, S. 88.

[xi] Düll/Kutzelnigg, Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch, S. 290.

[xii] Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa, Bd. VI, Teil 4, S. 1099.

[xiii] Ringler, Die Welt der Pflanzen zwischen Wendelstein und Chiemsee, S. 67.

[xiv] Aichele/Schwegler, Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Bd. 5, S. 114.

[xv] Schönfelder/Bresinsky, Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen Bayerns, Nr. 1653.

[xvi] Ringler, Die Welt der Pflanzen zwischen Wendelstein und Chiemsee, S. 62.

[xvii] Aichele/Schwegler, Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Bd. 3, S. 223.


Auf dem Geigelstein-Gipfel.

Auf dem Geigelstein-Gipfel.


Der Geigelstein von Norden.

Der Geigelstein von Norden.



Kurzinfo:


Region:
Chiemgauer Alpen
Tourenart:
Bergtour
Dauer:
ca. 6 - 7 Std.
Touristinfo:
Samerberg

Start:


Grattenbach im Priental 695 m


GPS-Wegpunkt:
N47 43.222 E12 17.415 zu Google Maps


Umweltfreundliche Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
Mit der Chiemgau-Bahn von Prien nach Aschau, weiter mit dem RVO-Bus 9502 bis Grattenbach (nicht an Sonn- und Feiertagen).


Mit dem Pkw:
Hier gibt es keinen offiziellen Wanderparkplatz. Entweder direkt am Bushalteplatz parken, oder links über die Brücke fahren, und dort vor und hinter der nächsten Brücke beschränkte Parkmöglichkeiten. Alternativ befinden sich westlich der Hauptstraße einige Meter nach dem Fahrverbotsschild ein bis zwei Parkplätze im Wald.

  • Ab Rosenheim: 30 Km / 0:35 Std
  • Ab München: 95 Km / 1:00 Std
  • Ab Bad Tölz: 75 Km / 1:00 Std
  • Ab Salzburg: 75 Km / 0:55 Std

Mit dem Bike:
Vom Zentrum Aschau kann man auf der Hauptstraße (Radweg neben der Straße) bis nach Grattenbach radeln. Die Entfernung beträgt 7,6 km, der Höhenunterschied ziemlich genau 100 Meter.


Tourenplaner / Online-Fahrpläne:
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Zum Zoomen der Karte bitte STRG und Mausrad benutzen.

Information:
Direkt bei dem Weiler Grattenbach mündet der gleichnamige Bach in die Prien. Er entspringt südlich der Mühlhornwand und ist mit seinen südlichen Zuflüssen (Schindelbach) ca. 3,5 Kilometer lang. Die nördlichen Zuflüssen haben bei den Aschentaler Wänden der Roßalm und der Wandspitze ihren Ursprung. Der Grattenbach weist mehrere Wasserfälle auf, von denen der höchste mit seine drei Fallstufen ca. 10 Meter hoch ist. Aufgrund des unwegsamen Geländes ist er aber nur schwierig zu erreichen und besonders bei Hochwasser gefährdet - von einem Besuch wird abgeraten. Einer der Wasserfälle bildet die Schlussszene des Films “Wer früher stirbt ist länger tot”, in welcher die Hauptperson in eine Gumpe springt.


Webcams:


Aktuelle Bilder von Webcams im Umkreis von 30km vom Ausgangspunkt.
  weitere Webcams findest du hier



Sachrang-Loipe
© https://www.terra-hd.de

Priener Hütte-West
© https://www.terra-hd.de

Priener Hütte-Süd
© https://www.terra-hd.de

Ähnliche Tour:


Wandberg und Priener Hütte
Vom Walchsee zum Geigelstein
  zur Tour, hier klicken

Literatur:


Karte

Alpenvereinskarte BY17
Chiemgauer Alpen West: Hochries, Geigelstein
von Alpenverein
Infos: Karte

Alpenvereinskarte BY17

Bildband

Chiemgauer Alpen
Wasser - Moore - Wälder - Felsen
von Zebhauser, Helmuth
Infos: Bildband

Chiemgauer Alpen

Galerie:





Autor/en:


Text: Dr. Markus Höper, Gemeinde Aschau
Gipfelfoto: Werner Stephan, Rosenheim  


  • Openstreetmap Darstellung von J.Dankoweit