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Die Leute fahren der Gams durchs Wohnzimmer

Begonnen von Reinhard, 11.02.2019, 16:05

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Reinhard

Ein Artikel, der zum Nachdenken anregt, ist heute in der Süddeutschen Zeitung erschienen:
"Abseits der Piste - Die Leute fahren der Gams durchs Wohnzimmer"

Immer mehr Skifahrer verlassen die Piste: Ulf Dworschak vom Nationalpark Berchtesgaden erklärt, warum das nicht nur für Schneehühner gefährlich ist.

Ich will den Tourengehern nicht den Spaß verderben, war früher selbst viel mit Tourenski unterwegs und bin aus gesundheitlichen Gründen auf Schneeschuhe umgestiegen. Aber vielleicht ist es doch sinnvoll, nicht jeden neuen unbefahrenen Hang zu erschließen.

Das vollständige Interview in der SZ gibt es hier.

Passend dazu schrieb Titus Arnu am 5.12.2018 ebenfalls in der SZ:
ZitatBei Umwelt und Wintertourismus denken die meisten an Schneekanonen und Pistenschneisen im Bergwald - aber nicht an das, was sie selbst leicht ändern könnten.


Bergautist

Vom Alpenverein gibt es dazu ja das Projekt "Natürlich auf Tour", siehe auch den Beitrag von geroldh: https://www.roberge.de/index.php/topic,1561.msg61267.html#msg61267.

Dass Schifahren wg. der Geschwindigkeit schreckhafte Viecherln mehr stören kann als Schneeschuhgehen, kann ich ja noch verstehen. Kann mir aber vielleicht mal jemand erklären, warum von den Wald-Wild-Schutzzonen die Bergschuhgeher von den üblichen Schildern nicht angesprochen sind, nur die Tourengeher und Schneeschuhgeher? Ich habe nicht den Eindruck, dass die Bergschuhgeher zahlenmäßig im Winter unter den Tisch fallen, noch kann ich verstehen, warum Schneeschuhe die Viecher stärker beeinträchtigen sollen als Bergschuhe.

geroldh

Servus Bergautist,
;) dies ist eine valide ingeneursmäßige Fragestellung, die es näher zu betrachten gilt:
Auf den ersten grün-runden Schildern vom Projekt ,,Skibergsteigen umweltfreundlich" (die man heute noch in den Bergen finden kann) waren tatsächlich nur Skitourengeher abgebildet - die Schneeschuhe waren zwar schon "erfunden", hatten aber noch keine große Verbreitung im Alpenraum. Damit sich die in den Folgejahren immer häufiger anzutreffenden Schneeschuhgeher nicht "diskriminiert" fühlen, bzw. auch angesprochen werden, um nicht durch die Wald-Wild-Schongebiete zu latschen (..."Wieso? Das dürfen doch nur die Bergler auf Ski nicht!"), hat man diese mittlerweile auch auf den Täfelchen miteinbezogen.
Was aber, wenn die Winter in den nächsten Jahren sich weiter erwärmen und kein ausreichender Schnee für Ski und Schneeschuhe vorhanden ist? Also wenn in der Tat die Bergwanderer vermehrt mit Sandalen und Barfuss(schuhen) in die Berge gehen - also sozusagen ganz "natürlich auf Tour"? Ja, dann sollten wir in der Tat über einen klimatisch angepassten "Schilderwald" nachdenken...  #hihi#

kare

soweit ich mich erinnere, war das ja gestern auch Thema bei Bergauf Bergab:
und wenn ich mich richtig erinnere, war der Manfred Scheuermann, Initiator von "Skibergsteigen umweltfreundlich" auch ganz zufrieden (auch wenn es noch ein paar "Falschgeher" gibt).

Aber andererseits:
Da wo nicht gejagt wird, hauen die Viecher auch nicht ab (ok, da red ich jetzt nur von Gams und Steinbock), aber erst neulich am Jenner hat sich eine Gams von ein paar Skitourengeher überhaupt nicht beeindrucken lassen.

Und wer schon mal hinterm Schneibstein den Steinböcken begegnet ist, weiß was ich meine.

Klar, das gilt nicht für Schneehühner, da wird aber z.B. am Rücken im Watzmannkar schon einigermaßen aufgepasst.

Und nachts muss man wirklich ned auf Skitour gehen, mia san ja ned in de Westalpen...

Bergautist

Zitat von: geroldh am 11.02.2019, 17:37
Damit sich die in den Folgejahren immer häufiger anzutreffenden Schneeschuhgeher nicht "diskriminiert" fühlen, bzw. auch angesprochen werden, um nicht durch die Wald-Wild-Schongebiete zu latschen (..."Wieso? Das dürfen doch nur die Bergler auf Ski nicht!"), hat man diese mittlerweile auch auf den Täfelchen miteinbezogen.
Was aber, wenn die Winter in den nächsten Jahren sich weiter erwärmen und kein ausreichender Schnee für Ski und Schneeschuhe vorhanden ist? Also wenn in der Tat die Bergwanderer vermehrt mit Sandalen und Barfuss(schuhen) in die Berge gehen - also sozusagen ganz "natürlich auf Tour"? Ja, dann sollten wir in der Tat über einen klimatisch angepassten "Schilderwald" nachdenken...  #hihi#
Hab ich's mir doch gedacht. Ich bin also "Trendsetter" für den Klimawandel und muss auf mein Bergschuh-Schuidl wohl nur noch warten, bis es keine Winter mehr gibt. #lacher#

roskin

In den vergangenen Jahren wurde ein populistisches Narrativ von nachhaltigen, ökobewussten, naturverträglichen Tourengängern (bzw. Schneeschuhgängern, Winterbergsteigern) einerseits, und von den bösen, umweltzerstörerischen Alpinskifahrern andererseits aufgebaut, was zwar der Realität nicht standhält, sich aber natürlich super verkauft, insbesondere bei den urbanen, besserverdienenden Schichten, wo der Grünenwähleranteil proportional hoch ist. [sicherlich überzogen ausgedrückt, aber um das besser herauszustellen]

Ich geh' seit etwas über 20 Jahren im Winter ein paar Touren, früher (zu Jugendzeiten) war das ganz anders in der Berichterstattung kann ich mich erinnern. Da wurde darauf hingewiesen, dass man erst eine solide Schneeunterlage abwarten soll, bevor man zum Tourengehen anfängt, (heute kein Thema mehr, da nimmt man die "Steinski") , dann der Hinweis mit den Bergwäldern und dem aufgeschreckten Wild, da waren eher die Tourengeher am Pranger.

Was dazu kommt ist natürlich eine Ausrüstungsevolution, die neuen Bindungen/ Schuhe sind leichter, die breiteren Ski im unpräparierten Gelände deutlich leichter zu fahren (hab mir vor kurzem einen geringfügig breiteren, schon gebrauchten Ski zugelegt, wow!)  das GPS hilft orientierungsschwachen Leuten bzw. bei schlechter Sicht, wo man sonst vllt. besser daheim geblieben wäre.

Eindruck vom letzten WE: Breitenstein über Winklstüberl - Bucheralm - Gut besucht, von oben bis unten ausgefahrene Piste, was aber bei dem Sulzschnee gar nicht so verkehrt war, auf das hab' ich spekuliert, deshalb war's für mich die richtige Tourenwahl. Vor 20 Jahren waren natürlich auch schon immer ein paar Spuren im Hang, aber lange nicht in dem Ausmass. Was das winzige Wald-Wild Schon Gebiet zwischen Bockstein und Hauptgipfel bringen soll erschließt sich mir nicht so ganz, es ist doch recht klein und rund herum wuseln die Leute.

Reinhard

Zitat von: Bergautist am 12.02.2019, 07:30... Ich bin also "Trendsetter" für den Klimawandel und muss auf mein Bergschuh-Schuidl wohl nur noch warten, bis es keine Winter mehr gibt. #lacher#

Servus Bergauthist,

zurzeit (damit meine ich nicht nur diesen extremen Winter, sondern auch die Vorjahre) gibt es nicht viele Wanderer, die ohne Schneeschuhe bzw. Tourenski im Schnee unterwegs sind. Solange es Einzelfälle bleiben (das ist nicht negativ gemeint), sehe ich noch keine Veranlassung, den DAV auf entsprechende Änderung der Schilder anzusprechen. Bei den Schneeschuhwanderern wurde ja auch abgewartet, bis sich diese Erscheinung durchgesetzt hat.

VG
Reinhard

bergfexklaus

Nach meinem Eindruck halten sich die Skitourengeher zwar beim Aufstieg meistens an die vorgeschlagene "umweltfreundiche" AV-Route, beim Abfahren wird dann aber der unverspurte Hang gesucht. Schön zu sehen ist das am kürzlich besuchten Gamsknogel, wo die Aufstiegsspur in einem schmalen Korridor zwischen zwei Wild-Wald-Schongebieten verläuft. Runter wird dann der lichte Wald in voller Breite durchpflügt, ohne Rücksicht auf die Schongebiete.
Bei den Wildbegegnungen macht's halt die Geschwindigkeit. Ein langsames Nähern (Aufstieg) gibt der Gams die Gelegenheit, sich gemächlich (energiesparend) zu verziehen. Bei einer flotten Abfahrt bleibt ihr aber nur die panische Flucht.

geroldh

Zitat von: AbseitsAufwärts...
Eindruck vom letzten WE: Breitenstein über Winklstüberl - Bucheralm - ... Was das winzige Wald-Wild Schon Gebiet zwischen Bockstein und Hauptgipfel bringen soll erschließt sich mir nicht so ganz, es ist doch recht klein und rund herum wuseln die Leute.
Servus AbseitsAufwärts,
aus dem gestern Abend kennengelernten Kontext (vgl. Gesprächsrunde: Neue AV-Karte Chiemgauer Alpen West) versuche ich einen Erklärungsansatz: Dieses kleine Schongebiet (Kartenausschnitt) ist vorrangig für die Rauhfußhühner gedacht, die einerseits (zu den Dämmerungszeiten) auf dem abgeblasenem Plateau mit ggfs. durch die Sonne freigelegten Grasflecken nach Futter suchen und sich tagsüber in den (geschützten) Gratbereich zurückziehen - sich dort im schattigen Bereich sogar einschneien lassen (Schneehöhle). Der Sommer(!)-Wanderweg geht "unkritisch" durch das Gebiet hindurch, aber für den Winter wird versucht, die Skitourengeher nur auf den Bockstein zu lenken (vom Hauptgipfel wieder zurück über das Plateau zu schieben macht sowieso wenig Sinn), während die Schneeschuhgeher (im Ausschnitt nicht verzeichnet), die es "unbedingt brauchen", dieses Gebiet wenigstens südlich (entlang des unmarkierten Sommerpfads) via Hubertushütte umgehen sollten. Damit bliebe das "Geflügel" ungestört, die Gemsen stehen sowieso ganz woanders, und der Gipfelbereich würde (auch im Winter) auf Dauer naturverträglich den Berglern erhalten bleiben.

roskin

Zitat von: BFklaus am 12.02.2019, 19:19
Bei den Wildbegegnungen macht's halt die Geschwindigkeit. Ein langsames Nähern (Aufstieg) gibt der Gams die Gelegenheit, sich gemächlich (energiesparend) zu verziehen. Bei einer flotten Abfahrt bleibt ihr aber nur die panische Flucht.

Naja, das ist deine Theorie. Tierschützer/Wildbiologen/ Forstministerium sehen das etwas anders, für die gehen auch die Querfeldein-Wintertouren von dir und anderen Roberglern zu weit:

»Rehe, Gämsen und Hirsche sind zwar an harte Winter angepasst, dürfen aber gerade nach den extremen Schneefällen der letzten Wochen nicht beunruhigt werden«, sagte die Forstministerin in München. Wildtiere überleben den Winter, indem sie ihren Körper in einen Energiesparmodus versetzen. Sie versorgen sich dabei vor allem mit den im Sommer und Herbst gebildeten Fettreserven. Jede Störung zehre an den Kräften und verbrauche viel Energie. Gämsen, Hirsche, Rehe, aber auch Auer- und Birkwild bräuchten jetzt viel Ruhe. »Egal ob Skifahrer, Schneeschuhgeher, Rodler oder Spaziergänger – jeder sollte im Winter Rücksicht auf Wildtiere nehmen, auf ausgewiesenen Routen bleiben und keinesfalls Wildtiere stören«, so Kaniber.

https://www.traunsteiner-tagblatt.de/startseite_artikel,-ruecksicht-auf-wildtiere-nehmen-_arid,465654.html

Absolute Notzeit ist seit dem Wintereinbruch für unser heimisches Wild angesagt und es ist dringend auf Unterstützung und Rücksichtnahme des Menschen angewiesen. Die Tierschützerin weiter:

"Wir bitten deshalb die Bevölkerung Störungen jeglicher Art zu vermeiden. Hunde im Gelände sollen angeleint werden, auch wenn diese vermeintlich abrufbar sind. Spaziergänger bitten wir auf den Wegen zu bleiben. Freunde des aktiven Wintersportes bitten wir eindringlich, den knappen und kargen Lebensraum der Wildtiere nicht zu betreten."


https://tegernseerstimme.de/wild-soll-nicht-gestoert-werden/

roskin

Zitat von: geroldh am 12.02.2019, 20:35
Zitat von: AbseitsAufwärts...
Eindruck vom letzten WE: Breitenstein über Winklstüberl - Bucheralm - ... Was das winzige Wald-Wild Schon Gebiet zwischen Bockstein und Hauptgipfel bringen soll erschließt sich mir nicht so ganz, es ist doch recht klein und rund herum wuseln die Leute.
Servus AbseitsAufwärts,
aus dem gestern Abend kennengelernten Kontext (vgl. Gesprächsrunde: Neue AV-Karte Chiemgauer Alpen West) versuche ich einen Erklärungsansatz: Dieses kleine Schongebiet (Kartenausschnitt) ist vorrangig für die Rauhfußhühner gedacht, die einerseits (zu den Dämmerungszeiten) auf dem abgeblasenem Plateau mit ggfs. durch die Sonne freigelegten Grasflecken nach Futter suchen und sich tagsüber in den (geschützten) Gratbereich zurückziehen - sich dort im schattigen Bereich sogar einschneien lassen (Schneehöhle). Der Sommer(!)-Wanderweg geht "unkritisch" durch das Gebiet hindurch, aber für den Winter wird versucht, die Skitourengeher nur auf den Bockstein zu lenken (vom Hauptgipfel wieder zurück über das Plateau zu schieben macht sowieso wenig Sinn), während die Schneeschuhgeher (im Ausschnitt nicht verzeichnet), die es "unbedingt brauchen", dieses Gebiet wenigstens südlich (entlang des unmarkierten Sommerpfads) via Hubertushütte umgehen sollten. Damit bliebe das "Geflügel" ungestört, die Gemsen stehen sowieso ganz woanders, und der Gipfelbereich würde (auch im Winter) auf Dauer naturverträglich den Berglern erhalten bleiben.

Danke für deine Erläuterungen, mir hat eben sowieso immer der Bockstein im Winter gereicht, Schneeschuhgänger sind viel dort unterwegs, ich hab' aber nicht darauf geachtet wo die entlang gegangen sind.

bergfexklaus

Zitat von: AbseitsAufwärts am 28.02.2019, 12:41
Naja, das ist deine Theorie. Tierschützer/Wildbiologen/ Forstministerium sehen das etwas anders, für die gehen auch die Querfeldein-Wintertouren von dir und anderen Roberglern zu weit: ...
Naja, deine Zitate beziehen sich auf die Zeit, in der hier extrem viel Schnee gefallen ist. Da waren die Appelle absolut OK, auch wenn ich Frau Kaniber und den Bayerischen Jagdverband nicht als Vorzeigewildtierschützer ansehe. Aktuell hat sich die Situation aber wieder deutlich entspannt.
In meinen "Querfeldein-Wintertouren" beachte ich übrigens strikt alle Schutz- und Schongebiete. Und dort, wo ich Anzeichen von Wild sehe oder höre, verhalte ich mich entsprechend rücksichtsvoll  :)

bergfexklaus

Auf der Webseite des Nationalparks bin ich eher zufällig auf den Abschnitt "Lebensraumansprüche der Gemse in Wechselwirkung zu Waldentwicklung und Tourismus im Nationalpark Berchtesgaden" gestoßen.

Unter Störungsökologie / Zusammenfassung findet man u.a. folgende Erkenntnisse:
Störungsökologie.JPG
* Störungsökologie.JPG
(Filesize: 32.01 KB, Dimensions: 754x106, Views: 1173)


Demnach geht die Haupstörung aus der Luft aus (Hubschrauber, Drachenflieger) und dann kommen die Skifahrer. Wanderer stören am wenigsten.