Hallo Christian,
ich war am 12./13.7. auf dem Ortler, das war bei einer Sektionstour von DAV Oberland.
Was dieses Jahr ohne Zweifel ein Plus für den Ortler-Normalweg ist, ist die große Wärme, die seit Monaten herrscht, und wegen der die gesamten Kletterpassagen völlig aper sind (soll sonst oft anders sein).
M.E. sind die größten Anforderungen über die ersten 200 Höhenmeter verteilt (für die haben wir wirklich etwa 1 Stunde und 20 Minuten gebraucht!). Dort reiht sich mehrfach ein Aufstieg über brüchige Felsen an einen Abstieg über fast genauso viele Höhenmeter, weshalb man am Ende wie gesagt nur ganze 200 Meter an Höhe gewonnen hat, wenn man den Gletscher betritt. Die Schwierigkeiten sind zunächst nicht über I, wenn auch das Gelände öfters recht ausgesetzt ist. Die Schlüsselstelle für den ganzen Normalweg ist m.E. das Tschirfeck-Wandl mit dem anschließenden kurzen Tabaretta-Grad (schau mal nach bei
www.steinmandl.de, dort gibt es auch eine Beschreibung des Ortler-Aufstiegs mit einem Foto vom Tschirfeck-Wandl; der Luidger Roeckrath ist auch sehr auskunftsfreudig). Das Wandl ist wohl an die 30 m hoch, recht steil bis senkrecht an zwei kurzen Passagen, allerdings ab dem ersten ordentlichen Steilaufschwung mit einer durchgehenden Kette versehen. Durch die Trockenheit des Fels läßt sich das Wandl heuer sehr gut steigen, da auch an den steilen Stellen gute Tritte zu finden sind; im Abstieg - v.a. wegen der schon eintretenden Ermüdung - ist dort eine behelfsmäßige Selbstsicherung mit Bandschlinge und Karabiner sehr angenehm, denn aus dem Wandl darf man auf keinen Fall "fliegen"!! Danach kommt der Tabaretta-Grat, der zwar nur mäßig ansteigt, aber recht plattig und abwärts geschichtet und an einer Stelle II-III ist. Das macht sich erst so richtig im Abstieg bemerkbar, weil man sich dort schwerer tut als beim Hinaufturnen (manche Seilschaften vor uns haben dort gesichert, unsere Führer haben sich die Zeit genommen, am Grat ein Fixseil zu legen; man muß bedenken, daß man an dieser Stelle schon 6-7 Stunden unterwegs ist und volle Konzentration aufbringen muß).
Der Gletscheraufstieg danach stellt nur noch Anforderungen durch die ordentliche Steilheit, die zeitweise herrscht, und durch eine Passage, die recht weit unten an einem steilen Müllhaufen vorbeiführt. Der Schutthang war enorm steinschlaggefährdet, weshalb immer noch die apere Eispassage von vielleicht 20 Höhenmetern (Frontzacken, ging aber sehr gut) angenehmer war.
Durch die durchweg andauernde Hitze in den vergangenen drei Wochen könnte vielleicht manche Spalte, die bei unserem Aufstieg noch ziemlich "zu" war, jetzt offen sein und manche Schneebrücke nur noch trügerisch oder ganz verschwunden sein. Aber unüberwindlich ist der Gletscher deshalb bestimmt nicht.
Ich habe die ganze Tour aus der Sicht eines Gelegenheits-Leicht-Kletterers (nicht über II) erlebt und unter dieser Voraussetzung war das schon eine anspruchsvolle Angelegenheit für mich. Für den Aufstieg haben wir etwas unter 4,5 Stunden gebraucht und für den Abstieg etwa 3,75 Stunden (gemeint ist die Strecke von der Payer-Hütte auf 3020 m bis zum Gipfel und zurück). Was für mich am meisten von der ganzen Tour im Gedächtnis geblieben ist, war die Tatsache, daß erst 5 Minuten vor dem Erreichen der Hütte beim Abstieg die ganze Anspannung vorbei war, vorher war man wirklich permament im steilen Gletscher und im abwechselnd schwierigen Fels unterwegs.
Die ganzen Schwierigkeiten liegen, glaube ich, in der Länge der Tour und in der Anspannung, die mehrere Stunden abverlangt wird. Ich bin wie gesagt kein Kletterer und auch nur gelegentlicher Hochtourist und die Schwierigkeiten waren insgesamt beherrschbar, aber bei dieser Tour "gehört" man mehrere Stunden "König Ortler", bevor man alle viere von sich strecken kann. Wenn man sich darauf einstellt und v.a. gutes Wetter erwischt - dann ist es eine großartige Tour.
Deshalb solltest Du meine Beschreibung durchaus als Ermutigung verstehen.
Falls Du Dich entschließt - viel Spaß und alles Gute!
Dietrich