Das Leben des Südtiroler Extremkletterers und Bergführers
Der Name Christoph Hainz ist untrennbar mit der Bergwelt Südtirols verbunden. Bekannt wurde er vor allem durch die Erstbegehung von zahlreichen extrem schwierigen Felsrouten in den Dolomiten sowie Eis- und Mixedklettereien im Tauferer Ahrntal. Bis heute findet er große Abenteuer direkt bei sich vor der Haustür und klettert anhaltend auf hohem Niveau.
In diesem Buch erzählt Hainz von seiner Kindheit auf einem Bergbauernhof im Mühlwalder Tal – ein Leben in Kargheit, aber auch in Freiheit, Selbstverantwortung und Naturnähe. In teils haarsträubenden, teils lustigen Geschichten schildert er Highlights seiner Bergsteigerkarriere: von seinen „Hausbergen“, den Drei Zinnen in den Dolomiten, über die Eiger-Nordwand bis hin zur Erstbegehung des Nordpfeilers am Shivling im Himalaya oder der Alleinbesteigung des Fitz Roy in Patagonien.
Für Christoph Hainz ist Bergsteigen etwas Ganzheitliches. Es umfasst und durchzieht alle Aspekte seines Lebens. Ausgleich vom Abenteuer und Erfüllung im Alltag findet er in seiner Tätigkeit als Berg- und Skiführer, die er als Berufung und nicht als Job empfindet und die ihm die Freiheit eines selbstbestimmten Lebens gibt.
1. Kapitel: "Mit mir und meinem Kopf eins …"
2. Kapitel: Ursprünge – Von der Quelle zum Fluss
3. Kapitel: Das Feuer in mir: Bergsteigen aus Leidenschaft
4. Kapitel: Dauerbrenner – Der "Zinnenmann"
5. Kapitel: Feuer und Eis: Eiger-Nordwand
6. Kapitel: Shivling-Nordpfeiler: Ausgesetztheit im Grenzbereich
7. Kapitel: Der Boden, auf dem ich stehe
"Ein außergewöhnlicher Kletterer und Mensch"
Jochen Hemmleb im Gespräch mit Thomas Engel
8. Kapitel: Die Freiheit allein: Fitz Roy solo in neun Stunden
9. Kapitel: In alle vier Winde – Klettern weltweit
"Ausreißen und Zurückkommen bereichern sich gegenseitig"
Jochen Hemmleb im Gespräch mit Christoph Hainz und seiner Lebensgefährtin Gerda Schwienbacher
10. Kapitel: Die Essenz – Abenteuer vor der Haustür
Anstelle eines Nachwortes: Brief von Hans Kammerlander
Anhang:
Auszüge aus dem Tourenbuch
Besondere Leistungen im Sportklettern
Besondere Leistungen im Wettkampfklettern
Auszeichnungen
Schwierigkeitsgrade beim Fels- und Eisklettern
Anmerkungen, Quellen und Literatur
Vorwort
"Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler." J. W. von Goethe
Er kam spät. Die Sonne stand schon tief über dem Pustertal, als er eintraf. Die Haare im Wind, buntes T-Shirt, Flip-Flops an den Füßen, schlenderte er auf unseren Tisch zu – so gar nicht der Muskelmann, den wir schon oft auf Fotos im gewaltigen Überhang hatten hängen sehen.
Gerade war ich mit meinen zwei Bergfreunden Stephan und Lukas in Toblach angekommen. Vor sechs Tagen am Königssee gestartet, über die schöne und damals wenig begangene Ostroute bis zur Drei-Zinnen-Hütte.
An der steilen Zinnen-Nordwand hatten wir sie aus der Ferne gesehen – stecknadelgroß: Kletterer, scheinbar an den Fels geklebt. Christophs Revier! Diese Wände hat er zigmal allein und mit Gästen durchklettert, neue Routen entdeckt. Die Drei Zinnen, seine Hausberge, zu denen es ihn immer wieder zieht: jeden Quadratzentimeter Fels, jeden Griff scheint er hier zu kennen. Aber nicht nur hier. Keine Wand zu steil, kein Wetter zu schlecht, kein Eiscouloir zu schwierig! Und vieles davon hat er festgehalten in atemberaubenden Bildern.
Mit Bewunderung und Demut bestaunten wir harmlosen Bergwanderer ein Foto nach dem anderen, das er auf sein Handydisplay holte Aufnahmen im hochalpinen Gelände, im Gletschereis, am gefrorenen Wasserfall. Und mit etwas Neid schauten wir auf die unzähligen Fotos an Gipfelkreuzen, von denen aus die Welt, die wir zu kennen glauben, eine andere scheint.
Einmal da oben, wenigstens einmal im Leben oben auf der Großen Zinne stehen, das war wohl der Traum, den keiner von uns Flachländern auszusprechen wagte in Anwesenheit einer veritablen Größe unter den Südtiroler Bergsteigern und Bergführern. Und genügend Zweifel hinsichtlich unserer Fähigkeiten und Kondition hatten wir ohnehin. Bin ich eigentlich schwindelfrei? Christophs Antwort auf unsere Selbstzweifel war eher lakonisch. Langatmige Bergsteigerphilosophie zur wortreichen Beglückung und zum Beeindrucken von Managerseminaren ist seine Sache nicht.
"Für deine Träume musst du was riskieren" und "deine Grenzen kennst du erst, wenn du sie ausgetestet hast!" Mit diesen zwei Sätzen und zwei weiteren Bier überließ er uns unseren Träumen wie unseren Zweifeln. Aber offensichtlich steckte genug Anstiftung und Ermutigung darin.
Kaum ein Jahr später standen wir nämlich mit ihm auf dem Gipfel der Großen Zinne. Spätestens seit wir uns oben am Gipfelkreuz in die Arme fielen, verstehe ich die tiefe Weisheit des Bergsteigersatzes, der denen im Tal wie eine Binse klingen muss: "Am schönsten ist das Ankommen".
Klar, auch vieles andere stimmt: dass das Abenteuer erst bestanden ist, wenn man wieder unten ist, dass der Abstieg nicht weniger Konzentration verlangt als der Aufstieg usw. Aber ich bleibe dabei: Ankommen ist das Schönste!
Und angekommen sind wir seit der Großen Zinne an dem einen oder anderen Gipfelkreuz in Südtirol: Weißkugel, Rosengartenspitze, Weißzint, Hochfeiler, Marmolata und natürlich durfte der Ortler nicht fehlen. Atem(be)raubend der Aufstieg zum Piz Palü im Schweizer Graubünden.
Inzwischen sind wir eine bewährte und eingespielte Seilschaft, mit der wir schon in der Weihnachtszeit die ein, zwei Gipfel fürs nächste Jahr aussuchen.
Keines dieser Gipfelkreuze hätte ich gesehen, keinen dieser großartigen Rundumblicke in die hochalpine Alpenwelt genießen können, niemals dieses Glücksgefühl beim Ankommen erleben können, wenn nicht ein Bergführer wie Christoph Hainz Sicherheit im Fels gegeben oder bei Umwegen um die dritte und vierte Gletscherspalte ermutigt und angetrieben hätte. Und auch das: Geduld zu haben; zu akzeptieren, dass trotz guter Vorbereitung und beschränkter Urlaubstage das Wetter keine Besteigung zulässt.
Lernt man am Berg fürs Leben? Regale voller Bergsteigerliteratur – allerdings zumeist geschrieben von Extrembergsteigern, die der Welt aufs Dach steigen – legen das nahe. Von dieser Liga bin ich, sind wir nicht mehr ganz jugendliche Bergbegeisterte weit entfernt. Aber wo der Profi seine Grenzerfahrungen zwischen 6000 und 8000 Metern Höhe findet, macht der Amateur aus dem Flachland sie vielleicht schon zwischen 3000 und 4000 Metern. An unsere Grenzen hat uns Christoph Hainz immer wieder geführt, aber nie darüber hinaus.
Deshalb sind Anstrengungen und Flüche beim Aufstieg schnell vergessen, die Lust nicht verlorengegangen, den Rucksack für einen neuen Gipfel zu packen. Gewachsen ist in den Jahren die Erfahrung, disziplinierter sind die Vorbereitungen, um sich in Form zu bringen, besser auch die Kondition und die Konzentration auf den nächsten Schritt. Gewachsen ist in all den Jahren auch das Bewusstsein, wie sehr du am Berg aufeinander angewiesen bist, und dafür, dass nur alle gemeinsam hochkommen können und dass Leichtsinn eines Einzelnen Risiko für alle bedeutet.
Geblieben ist der Respekt vor dem Berg und das Wissen, dass jeder Aufstieg anders ist, neue Anstrengungen verlangt und neue Schwierigkeiten bereithält.
Geblieben ist die unbändige Freude, das noch vor Stunden schier Unerreichbare erreicht zu haben.
Geblieben ist die Freude auf die Tasse heißen Tee in klirrender Kälte auf dem vergletscherten Gipfel oder auf das erste gemeinsame Radler auf der Hütte nach dem Abstieg.
Nicht zuletzt geblieben ist die Vorfreude auf den Gipfel im nächsten Jahr.
Ich bin sicher, Christoph bastelt schon an der nächsten Tour …
Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland (seit 2017)