Eine Bergtour ins Kaisergebirge ist eigentlich immer lohnend – und doch habe ich den Wunsch, diese geplante mir gut bekannte Tour auf die
Ellmauer Halt (2344 m) via dem südlichen Normalweg für mich „aufzupeppen“. Auch wenn ich den
Kopftörlgrat bereits dreimal beklettert habe (mit abschnittsweiser Seilsicherung), so verwerfe ich den Gedanken an diese „Soloeinlage“ endgültig mit dem Erreichen der Gruttenhütte (1620 m) – ausgehend von der Wochenbrunneralm (ca. 1100 m).
Gemeinsam steigen wir durch das Hochgrubachkar zum Einstieg in den ausgesetzten Steig durch den sog. Gamsanger – ein felsig-schrofiges Geländeband unter den Steilwänden des Kopftörlgrats. Spätestens hier wird aus Bergwandern dann das eigentliche Bergsteigen für geübte und trittsichere Alpinisten mit gutem Schuhwerk. Doch wurden abschnittsweise Stahlseilsicherungen zur führenden Unterstützung beim üblicherweise freien Begehen dieses Steiges angebracht, die damit (ggfs. bei Nässe) die kurzen I'er-Kraxelstellen etwas entschärfen sollen. Nun, vielleicht liegt es ja am Wochenende, doch die meisten Gipfelaspiranten rüsten sich hier mit ihren Klettersteigsets aus und klinken sich anschließend auch „brav“ in jeden gesicherten Steig-Abschnitt ein – inkl. dem ordnungsgemäßen Umklinken an den Stahlstiften...
Da bereits vorausschauend – und noch viel mehr auf den Zustiegsweg zurückblickend – erkennbar ist, dass dieser große Kaiser-Gipfel heute stark besucht sein wird, kläre ich meinen Plan-B ab, alternativ dem einsamen
Kaiserkopf einen Besuch abzustatten, den ich sonst nur vom
Überflug her kenne. Ab der Rote Rinn-Scharte (2099m) soll es via dem Nordgrat eine brüchige II'er Kraxelei sein – und ein „Normalweg“ (zum Abstieg) soll dort auch vorhanden sein. Ich wede sehen...
Ich steige nun meiner Gruppe voraus, doch an der „Stifte-Leiter“ unterhalb der Jägerwand kommt es zu ersten „Stauungen“ mit den bereits abwärts Steigenden. Ich bin deshalb froh, knapp darüber zur Scharte abbiegen und mich nun völlig auf mich selbst konzentrieren zu können. Insbesondere im Umfeld der Rote Rinn-Scharte ist das Kalk-Gestein sehr brüchig, ein konzentriertes und sauberes Steigen (und Greifen) absolut notwendig. Im Kaiserkopf-Nordgrat, der überwiegend UIAA II ist, gibt es zwei kurze Abkletterstellen – und die sind ganz besonders heikel, da es dort eine echte Herausforderung ist, einen der spärlichen festen Griffe und Tritte zu finden. Viele der dortigen Steine liegen nur noch lose aufeinander, meine stabilen Griffe muß ich mir erst freikratzen. Nein, kraxeltechnisch ist diese Route tatsächlich nicht lohnend – und ich bin erleichtert, hier gut und ohne auslösenden Steinschlag durchgekommen zu sein. Dafür gehört mir nun der etwa 2166 m hohe Nebengipfel ganz alleine (11:55 Uhr).
Ab und zu gibt der Nebel der heute tiefliegenden Wolken die Sicht kurz frei und ich kann die bunte Karawane erkennen, die die Route zur Ellmauer Halt hinauf markiert. Während ich Mittagspause mache und das Gipfelbuch durchschaue, höre ich aus dem Nebel von Gegenüber immer wieder Rufe wie „Achtung Stein(e)“ und entsprechendes Gepoltere. Eigentlich kaum zu glauben, dass dort drüben immer noch so viele Steine zu finden sind, die offenbar von weniger geübten Berggehern der Erdanziehung übergeben werden. Etwas später höre ich von gegenüber unten fragende Hallo-Rufe, die sich kurz darauf wiederholen. Hmm, sollte der Steinschlag vielleicht Folgen gehabt haben? Als einige Minuten später ein Hubschrauber hinter den Wolken zu hören ist, und der gelbe ÖAMTC-Heli vom Treffauer her einen Anflug versucht, dieser dann erst um die Ellmauer Halt herum gelingt, ist diese Frage beantwortet. Es ist durch den Nebel weiterhin nichts zu erkennen, aber von unten aus dem Hochgrubachkar nun lange Zeit der Hubschrauber zu hören.
Nach einer Stunde packe ich zusammen und steige zur Hirschanger genannten Scharte hinab, von der der „Normalweg“ abgehen soll. Doch da ich in Absprache mit den anderen gegenüber auf dem Gipfel noch Zeit habe, erkunde ich für mich den weiteren Gratverlauf gen Westen und ersteige dort über steiles Schrofengelände noch ein kleines Köpfl – danach wird es definitiv ausgesetzt, felsig und höchstalpin. Zurück am Hirschanger quere ich einem Steinhaufen folgend über grasiges Gelände zu einer Stelle, an der eine geneigte Felszone durch einen breiten Riss unterbrochen ist, der zu einer Schuttrinne hinunter führt. Ist dies der „Normalweg“? – Es gibt keine weiteren Anhaltspunkte. Für mich erscheint dieser Riss gut abkletterbar, unten wird es geröllig bis schrofig – und ich möchte ohnehin zur Rote Rinn-Scharte zurück. Dort wieder gut angekommen bin ich mir sicher, dass dies wohl nicht der einfachste Weg gewesen ist, der müßte wohl noch tiefer liegen – und von unten gesucht und gefunden werden.
Inzwischen weitgehend ohne Nebel, habe ich von der Scharte einen Einblick in die Rinne hinunter zum Kar, und mir scheint, dass dort unten etwas gelbes zu liegen scheint. Zurück an der „Stifte-Leiter“ der Jägerwand warte ich auf die anderen – immer noch kommen „Klettersteiggeher“ von unten herauf... – als ein Polizei-Hubschrauber unten an der Gruttenhütte startet und mit zwei Personen am langen Seil in einem Bogen zu uns heraufschwebt. Ziemlich nah an die Felswand heranfliegend, werden die Beiden in der Rinne abgesetzt, der Heli geht in Warteposition und nimmt etwas später einen Retter mit einem Bergesack auf, der unten im Kar auf das Altschneefeld abgelegt wird. In einem weiteren Anflug wird der zweite Bergretter aufgenommen und die Rinne etwas nach oben fliegend wohl auf Spuren abgesucht, dann erfolgt die Landung unten auf dem Schneefeld, die Verladung des Verunglückten und der Abflug ins Tal.
Den eigenen Gedanken nachhängend steigen wir vorsichtig den Aufstiegsweg hinab, an der Gruttenhütte vorbei und weiter zum Parkplatz an der Wochenbrunneralm.
Was und wie dieser Unfall passiert ist, spiegeln tags darauf zwei Pressemeldungen wider:
klick +
klick Den Informationen nach dürfte er wohl weniger direkt auf dem Steig absteigend von einem Stein getroffen worden und dadurch in die Rinne abgestürzt sein, als diese meine pers. Vermutung:
In meiner älteren AV-Karte vom Kaisergebirge ist von der Rote Rinn-Scharte durch die Rinne hinab zum Hochgrubachkar eine schwarz-gepunktelte Linie eingezeichnet (im Winter Teil einer Skiroute). Vermutlich wollte der Verunglückte im Abstieg den Stau an der Jägerwand und den weiteren Gegenverkehr auf dem Gamsängersteig umgehen, hatte sich für die Rinne entschieden – doch als „Steinschlag-Auffangbecken“ für diesen Tag leider keine gute Idee...