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17.10.2024: Brandenberger Alpen: Unnutz-Komplett-Überschreitung (N-S)

Begonnen von geroldh, 24.10.2024, 16:11

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geroldh

Zwei oder mehrere Berggipfel mit einem Grat oder Rücken dazwischen laden förmlich zu einer Überschreitung ein. Dies ist am Unnutz-Bergstock genau so und eigentlich auch ein Klassiker bei gutem und stabilem Wetter. Kein Wunder also, dass es viele Berichte über die "Unnutz-Überschreitung" gibt, wobei mit genauerer Betrachtung es sich hier fast immer um eine "Dreiviertel-Überschreitung" handelt. Dabei spielen die markierten Steige bzw. Wege am Berg eine wesentliche Rolle und der Aussicht wegen üblicherweise von Nord nach Süd durchgeführt, ist diese Tour für viele bereits eine ambitionierte Unternehmung, zumal im Tal noch die Rückkehr zum geparkten Auto wartet.

Üblicherweise beginnt der Aufstieg in der Nähe des Ortszentrums von Achenkirch (916 m) und führt durch Waldgebiet zur bewirtschafteten Zöhreralm hinauf. Von dort erfolgt ein steiler und schweißtreibender Aufstieg durch die Fels- und Latschenzone zum Kamm hinauf - und neben der Freude auf den gewonnenen Ausblick hinüber zum Guffert, ist dabei auch das erste Gipfelkreuz als Zwischenbelohnung erreicht. Bei genauerer Betrachtung des Gipfelbuchs wird damit bereits der "Hinterunnutz" ausgewiesen, was aber "ein (touristischer?) Fake" ist, denn der eigentliche Gipfelbesuch (nur Steinhaufen) erfordert einen Abstecher "durch" Latschen in nördliche, also die entgegengesetzte Richtung.

Von diesem kleinen Joch führt der Steig nun weitere 175 Höhenmeter empor, um den ersten "echten" Gipfel, den Hochunnutz zu erreichen. Dieser stellt jedoch auch noch nicht den "absoluten Höhepunkt" dar, denn erst relative drei Meter höher ab dem südlich gelegenen Vorderunnutz geht es auf der Tour nur noch bergab. Dabei ist die Köglalm nahe dem Kögljoch geradezu ideal gelegen, um sich mit einer Einkehr in der Nachmittagssonne zu belohnen. Der weitere Abstieg hinunter ist dann nicht mehr allzu schwer, lediglich die Überlegung muß noch gemacht werden, um an der Pfad-Gabelung gleich in den Talboden abzusteigen (links) oder in den Höhenweg einzuschwenken (rechts), um weiter verkehrsberuhigt zum geparkten Auto bei Achenkirch zurück zu gelangen.

Das fehlende "Viertel" an Strecke zu einer kompletten Unnutz-Überschreitung befindet sich nördlich des Hinterunnutz-Gipfels in Form des nicht mehr markierten, aber für geübte Berggeher kraxelbaren Nordgrats. Hier ließe sich noch definieren, wo genau dieser Aufstieg zur 100%igen Komplett-Überschreitung zu beginnen hat, doch entsprechend der Karte hat es nordseitig, z.B. entlang der Gemeindegrenze, (fast) nur unerschlossenen Bergwald.
Ohne allzu intensiv im Netz nach Berichten geforscht zu haben, findet sich mit Eine Unnütz(e) Überschreitung (22. August 2016) von kardirk ein Bericht über alle drei Gipfel hinweg - wobei auch er im Süden beim (alternativen) Abstieg, um schneller zum Auto zurück zu kommen, etwas "geschummelt" hat.

Es kann also je nach persönlichem Gusto mehrere Möglichkeiten für die untere Auf- und Abstiegsroute geben, auch je nachdem, ob eine Fahrt mit dem Bus/ÖPNV (eine Tarif-Zone "Achenkirch" zw. HS Schwarzenau und HS Abzw. Steinberg a.R.) eingeplant wird. Dennoch läßt sich das Auto nach wie vor in der Nähe des Ortszentrums von Achenkirch parken (derz. Tagesticket 5,- €) und ab der Zöhreralm der eigentliche Nordgrat mitnehmen. Dabei stellt m.E. das Auffinden des Einstiegs und dieser selbst mit etwa UIAA II die "technische" Schlüsselstelle dar. Der felsige Einstieg zum Nordgrat befindet sich etwa auf gleicher Höhe wie das südl. gelegene Kögljoch (ca. 1480 m) - und damit sind für mich die beiden Eckpunkte einer Unnutz-Komplett-Überschreitung hinreichend definiert.


Entsprechend dem zuvor bei der Anfahrt deponierten Rucksack habe ich im Norden von Achenkirch (ca. 900 m) übernachtet. In der Früh deponiere ich diesen erneut, und zwar direkt an der Bushaltestelle, denn mein Plan sieht vor, nach der Überschreitung direkt in den Bus MVV#390 einzusteigen, den Rucksack bei einem kurzen Halt in den Bus herein zu holen und dann weiter nach Tegernsee und nach Hause zu fahren.

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Ausblick von der Zöhreralm auf das Achental mit Seekarspitze, Christlum(kopf) und Sonntagsspitze

Heute ist wie vorhergesagt noch besseres Wetter mit einem tiefblauen Himmel und wenig Wind in der Höhe, etwas verspätet breche ich gegen 8:30 Uhr auf und marschiere an den Bergfuss, um dort für ein sehr kurzes Stück den sog. Alten Steinbergweg zu erreichen. Ab hier beginnt mein alternativer und tw. wegloser Aufstieg westlich des Zöhrergrabens, um durch den Wald an die etwa 130 Meter höher gelegene nördliche Kehre des Fahrwegs hinauf zur Zöhreralm zu gelangen. Ansonsten wird am Parkplatz beim Ortszentrum bzw. dem Heizkraftwerk gestartet und der markierte Steig zur Zöhreralm (1334 m) genommen. Diese wird gegen 9:30 Uhr erreicht und liegt am Morgen noch lange im Schatten. Durch die Infrastruktur bietet sich hier ein gepflegter Toilettengang (hölzerner Anbau) an, doch diese Pause reicht aus, um mich unangenehm frösteln zu lassen, denn das anliegende Funktionsunterhemd ist bereits nass geschwitzt - und der Rest ist Thermo-Physik.

Oberhalb des Almgebäudes nehme ich zuerst den sichtbaren, aber falschen Steig aller "Rindviecher", habe mir fröstelnd keine Zeit genommen, nochmals genauer zu schauen - und zu überlegen... Also wieder hinunter, denn von der erhöhten Perspektive ist wenigstens der passende historische Steigansatz in der Weidefläche zu erkennen. Nun außerhalb der Sichtweite von der Alm entledige ich mich dem verschwitzten Shirt, denn NaturNah ist auch im Schatten gar nicht mal so unangenehm, wie mensch ohne Erfahrung vermuten würde...

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Der bessere Teil vom alten "Jagasteig", je weiter hinten, desto weniger ausgeprägt

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Bereits am optimalen Einstieg vorbei - und diese Felswand läßt mich weiter traversieren...

Der "Jagasteig" ist vor einigen Jahren ausgeschnitten worden und führt zuerst leicht ansteigend, dann etwa der Höhenlinie folgend, in nordöstl. Richtung. Im Bereich von Rinnen hat die schleifende Erosion oder das überwuchernde Gras diesen verschwinden lassen, unterwegs sehe ich zwei Holzkästchen als Salzlecken, ab und zu scheint hier der Jäger noch unterwegs zu sein. Je weiter ich zum kartenverzeichneten Ende auf ca. 1400 m gelange, desto weniger Pfad ist erkennbar und Wildwechsel irritieren zusätzlich - immerhin bin ich "naiv" analog unterwegs. So lasse ich mich mangels Anhaltspunkte (z.B. von der Gemeindegrenze) von einer herab ziehenden Felswand verleiten ein Stückchen zu weit um den nördlichsten Punkt herum in die beginnende NO-Flanke zu traversieren. Später in der Tourennachbereitung (Orthofoto) werde ich feststellen, dass es "nur" etwa 100 m waren, aber am vermutlich günstigsten Einstiegspunkt bin ich damit vorbei. Irgendwo aufgrund des Walds unsichtbar unter mir befindet sich die Almwiese Pulverer Mahd, durch Bäume hindurch sehe ich den von dieser Perspektive schmalen Guffert als Doppel-Gipfel.

Schließlich entdecke ich in einer Felsspalte alte Aludosen einer bekannten Münchener Brauerei - aha, hier waren also schon - Menschen. Immerhin interpretiere ich diesen Bereich als Einstieg und starte einen ersten vorsichtigen Versuch (11:30 Uhr), der jedoch bald in den Latschen stecken bleibt. Dann also am felsigen Rand einer sich zwischendurch aufsteilenden Rinne entlang, immer wieder den Gamswechseln durch Latschengassen nach rechts-oben und damit wieder zurück in westliche Richtung folgend. Dieser Umweg über etwa 100 Höhenmeter hat mir aber sicher eine halbe Stunde Zeit gekostet, doch immerhin erreiche ich einen felsigen Gratbereich (direkt darunter ist der wohl ideale Einstieg!), der mich nun zügig nach oben führt.

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Bereits "rum um's Eck" - hier finde ich im felsigen Teil einer Grasrinne eine Möglichkeit...

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Manche nennen es Verhauer - es ist eine etwas umständliche Möglichkeit nach rechts-oben hinaus...

geroldh

Die ersten 200 Höhenmeter werden durch die tiefer stehende Sonne noch im Schatten bewältigt, ein Latschen-Querband muß durch eine unscheinbare Schwachstelle durchstiegen werden, dann wird auf 1700 m der nahezu bewuchsfreie Felsgrat erreicht und nun meiner Sache sicher, macht das einsame Kraxeln hier in der Oktober-Sonne so richtig Spaß. Bei der Kartenmarkierung P1868 (ca. 13 Uhr) befindet sich eine orangefarbene Bodenmarkierung der Gemeindegrenze von Achenkirch und Steinberg a.R., die sich über den gesamten Unnutz-Grat hinweg zieht. An manchen Stellen öffnet sich der Blick nach vorne auf die beiden Hauptgipfel - und die liegen perspektivisch noch ganz schön weit weg. Dafür ist der Blick in die andere Richtung mit dem markanten Guffert und den stellenweise bunten Bergwäldern ein Traum!

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Auf dem Nordgrat (mittlerer Teil) - Blick zurück auf den unteren latschenfreien Teil

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Der Mt. Guffy in ganzer Pracht - die linke Bildhälfte hat mich im Sommer gesehen...

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Auf dem Nordgrat (mittlerer Teil) - Blick voraus auf Vorderunnutz, Hochunnutz und Hinterunnutz

Um 14 Uhr wird der "echte" Gipfel des Hinterunnutz (2007 m) erreicht, den nur ein Steinhaufen ziert, denn wie oben erwähnt befindet sich das Kreuz mit dem Gipfelbuch tiefer am markierten Steig. Diesen Grasgipfel - ideal um etwas barfuß zu laufen - habe ich für mich allein und hier hole ich die längere Mittagspause nach. Dabei muß ich mir überlegen, wie lange ich wohl noch für die weitere Überschreitung brauchen werde, ob ich bereits vorzeitig absteigen soll, um den Bus zur Rückfahrt (ganz sicher) zu erwischen - oder ob mir die komplette Überschreitung einfach wichtiger ist, auch auf die Möglichkeit hin, noch eine weitere Nacht im Achental zu verbringen.

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Auf einem "Vorgipfel" - Blick (Weitwinkel) zurück auf den Nordgrat - und den Guffert-Westgrat

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Auf dem Hinterunnutz - Blick nach Norden mit dem oberen Teil des Nordgrats

geroldh

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Auf dem Hinterunnutz - Blick nach Süden mit dem Hochunnutz als nächstem Zwischenziel

So angenehm es hier auf dem Hinterunnutz auch ist, es hilft nichts, von der Strecke her habe ich erst etwa ein Drittel geschafft, weiter geht's. Das zum Gipfel "dazugehörende" Gipfelbuch bzw. Kreuz wird am P1943 (15 Uhr) erreicht, nun ist der Weiterweg eine markierte "Wanderautobahn" und entsprechend zügig komme ich voran. Eine halbe Stunde später wird auf dem Hochunnutz (2075 m) ein kurzer Fotostopp eingelegt, dann weiter und den alternativen Nordgrat mit leichter Kraxelei hinauf zum Vorderunnutz (2078 m) - es ist 16 Uhr und der übliche Tagesbesuch hat diesen Gipfel bereits wieder verlassen.

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Auf dem Hochunnutz - Blick nach Norden mit dem Hinterunnutz und oberen Teil des Nordgrats

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Auf dem Vorderunnutz - Blick nach Norden mit dem Hochunnutz und dem fernen Hinterunnutz

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Blick zurück auf die Hochfläche vom Vorderunnutz, im Rücken der "Südgrat-Steig" durch die Latschen

Nun ist der lange Abstieg über die grasige Hochfläche und durch die Latschen auf dem Südgrat hinab zur Köglalm (1428 m, 16:45 Uhr) mehr Pflicht als Kür, eigentlich ist es an diesem schönen Tag schade, doch mit Blick auf die Abfahrtszeit des Buses laufe ich oft. An den Almhütten vorbei - der Jäger fährt offenbar gerade zu einem seiner Ansitze - führt der Steig nun in westliche Richtung "parallel" zur Fahrstrasse in den Talboden hinunter. Etwa 100 Meter darüber komme ich in den Schattenwurf der Seekarspitze und unweit der Staatsstrasse findet mein heutiges NaturNah sein endgültiges Ende. Der Pfad führt unter der Strasse hindurch und direkt beim "Fischerwirt am See" (ca. 935 m, 17:15 Uhr) hat mich die Zivilisation wieder. Die gleichnamige Bushaltestelle wird nur vom Ortsverkehr (VVT#4080) angefahren, für die Linie MVV#390 muss ich noch etwas nördlich zur Haltestelle "Abzweigung Achensee" gehen - der Bus kommt pünktlich um 17:40 Uhr angefahren, gegen 18 Uhr wird der deponierte Rucksack herein geholt und mit der Ankunft am Bahnhof Tegernsee ist es bereits dunkel.

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Blick vom "Südgrat-Steig" auf Kögljoch (rechter Bildrand) und Rofan-Gebirge - ein anderes Mal...

Fazit: Für wirklich geübte Berggeher (auch weiblich und divers) mit Trittsicherheit, Orientierungssinn und Klettergrundkenntnissen dürfte der "Umweg" via dem Nordgrat vom Hinterunnutz eine lohnende Unternehmung darstellen. Diese Route liegt im Dornröschenschlaf und bekommt nur selten Besuch. Aber auch hier: Ich komme ganz bestimmt wieder...