24.07.2022: Kaisergeb.: Zettenkaiser-Nordflanke „Herbstsunn“
 

   



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24.07.2022: Kaisergeb.: Zettenkaiser-Nordflanke „Herbstsunn“

Begonnen von geroldh, 31.07.2022, 22:13

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geroldh

Als BR Retro ist derzeit in der ARD-Mediathek oder der BR-Mediathek aus der historischen Reihe ,,Wandern und Bergsteigen" ein ,,Alpiner Lehrgang" (14 Min.) von anno dazumal (1965) zu sehen:
ZitatBR-Redakteur Lothar Brandler ist ein Bergsteiger, der im Laufe seines Lebens zahlreiche Erstbegehungen erkletterte, und als Bergfilmer spektakuläre Filme drehte. In seinem Bergsteigermagazin befasst er sich mit Klettertouren im Schwierigkeitsgrad 1 und 2.
Der passionierte Kletterer stellt die ideale Ausrüstung eines Bergsteigers vor (ab 0:30 Min.) und spricht Empfehlungen für Strümpfe, Anorak, Rucksack, Bergschuhe, Schlafsack, Bergwachtapotheke und Seile (ab 3:00 Min.) aus. Sie erfahren Wissenswertes über Knoten beim Klettern (ab 3:45 Min.) und erhalten konkrete Tipps für die richtige Technik (ab 5:30 Min.). Am Schluß führt eine Filmsequenz zu einer Klettertour an den Südwestgrat des Mont Blanc (ab 10:45 Min.).
Entsprechend diesem ,,gelehrten" Schwierigkeitsgrad hatten wir in der Vorwoche in der Scheffauer-Nordwand die alte Leuchs-Route (2) mit Erstbegehung von G. Leuchs im Jahr 1903 absolviert – Zeit also, dass almrausch (heute kein ,,junges Mädchen" – und auch kein ,,Lehrling"...) und ich (kein ,,Bergführer"...) die nächste Kletterschwierigkeit angehen wollen. Dazu haben wir uns nebenan in der Zettenkaiser-Nordflanke die neuere Route ,,Herbstsunn" (3) ausgesucht.

Ein Wandbild mit der eingezeichneten Route ist bei Markus Stadler zu finden:


Die Nordflanke des Zettenkaiser mit eingezeichner Kletterroute "Herbstsunn" (grün), sowie dem Direktabstieg (violett) und dem Normalweg.

Die gegebenen Hinweise (Absicherung: Einige Normalhaken und Sanduhren vorhanden / Schwierigkeit: Überwiegend 3, stellenweise leichter) und v.a. das Topo mit den darin verzeichneten Haken und Ständen machen uns optimistisch, mit dieser Route keinerlei Probleme bekommen zu dürfen. Dennoch ist heute das 50m-Seil und eine umfangreichere Kletterausrüstung mit dabei.

Wie in der Vorwoche treffen wir uns um 07:30 Uhr am Bahnhof in Rosenheim, um mit dem zweiten Zug des noch kühlen Tages nach Kufstein zu fahren – auch wieder mit ,,an Board" haben wir die e-Radl (Fahrrad-Tageskarte).
Vom Bahnhof Kufstein (ca. 480 m) fahren wir durch die Römerhofgasse (,,Auracher Löchl") und gleich unterhalb der Burg entlang zur Almstraße, die uns am Aschenbrenner und der Brentenjochalm vorbei hinauf zur Kaindlhütte (1293 m, ca. 9:15 Uhr) führt, an der wir die Radl parken und am nahe gelegenen Almbrunnen die Trinkflaschen befüllen.

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Die Zettenkaiser-Nordflanke mit der Route ,,Herbstsunn" (Bildmitte) vom Riegensteig-Sattel aus gesehen

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Blick vom Riegensteig-Sattel hinüber zur Pendling-Ostwand ;)

Via dem "unteren" Riegensteig erreichen wir via einem kleinen Sattel den Fuß der Nordflanke und steigen hinüber zum Einstieg zur ,,Herbstsunn" (ca. 1700 m, 10:30 Uhr) – gleich nebenan am Einstieg zur ,,Nordwand-Route" sind ein jüngeres Paar aus Kufstein unterwegs – auch wenn sie recht vorsichtig unterwegs sind, werden sie lange vor uns am Gipfel sein...
Wir machen uns kletterfertig und versuchen eine ganze Weile den im Topo verzeichneten (eingebohrten?) Standplatz zu finden. Es ist bekannt, dass ein Topo (als Skizze) die Route gestaucht und schematisch darstellt, doch ein Standplatzhaken möchte sich partout nicht finden lassen, doch jetzt da wir ein Seil dabeihaben, möchten wir es wenigstens ,,richtig" machen. Das Gelände über uns – zwischen dem sog. Ostlerschacht und einer großen Felsverschneidung wirkt gut strukturiert und ich mache mich mit einem Seilende im Schlepptau an den Vorstieg, irgendwo sollen dann eine verzeichnete Sanduhr (SU) und ein Zwischenhaken sichtbar werden. Auch wenn sich die von unten gesehenen Griff- und Trittmöglichkeiten auf Augenhöhe oft als weniger komfortabel herausstellen, komme ich hier mit den Leichtbergstiefeln recht gut zurecht. Da sich mir keine ,,SU" zeigt und auch kein Haken finden lässt, baue ich an halbwegs passender Stelle eine kleine Köpfl-Zwischensicherung mit einer Bandschlinge, denn mit zunehmender Höhe möchte ich für den Extremfall wenigstens etwas ,,seil-umlenkendes" geschaffen haben, zumal sich etwas über mir der Fels auch kurz aufsteilt und nach wie vor nichts Metallisches sich zeigen mag. Eine gewisse Unsicherheit macht sich in mir breit (auch wenn es verschiedene Möglichkeiten geben mag, wir sind in der richtigen Route), aber die Hoffnung weiter oben doch endlich mal etwas brauchbares zum (Nach)Sichern zu finden, lässt mich weiter hinaufklettern. Ahh, jetzt da rechts drüben ist ein Schlaghaken – aber soll ich diesen über eine glatte und griffarme Platte (darunter eine kleine Felsstufe) wirklich zu erreichen versuchen? Nein, da bleibe ich lieber in meinem Spalt – und finde kurz darauf eine kleine Sanduhr mit alter Bandschlinge. Nun gut, nach etwa 40m ausgegebenem Seil besser als nix. Hier muss ich doch etwas nachdenken: Wirklich kompakt schaut mir dieser ,,Felshenkel" nicht aus, ich hätte wohl ein ziemlich ungutes Gefühl, wollte ich mich daran als Umlenkung abseilen. Aber soll ich tatsächlich almrausch zu diesem ,,Standplatz" nach oben nachholen? Was ist, wenn es nach oben hin genauso wenig Sicherungsmöglichkeiten gibt, wir vielleicht sogar einen Rückzug antreten müssen? Ich schaue die Felsflanke an, schaue aufs Topo, und wieder ins Gelände... Es ist schon eine besondere Herausforderung, eine Route das erste Mal anzugehen... Schließlich überwiegt doch die ,,Hoffnung", dass wir beide weiter ausreichend gut durchkommen sollten und ich hole almrausch herauf. War dies die erste Topo-Seillänge? Mir fehlt die Synchronisation...

Nun haben wir wenigstens einen natürlichen Fixpunkt, an dem ich für den weiteren Vorstieg gesichert werden kann. Grundsätzlich geben die Risse die (leichtere) Routenführung vor und tatsächlich unmittelbar an einer kleineren Stufe ist nun auch ein Schlaghaken zu finden. Wunderbar, es war sowieso schon wieder viel zu viel Seil zwischen uns, ich klippe und kann nun gelassener einem größeren Felsausbruch entgegensteigen. Dort lässt es sich gut und sicher stehen und es sollte hier wieder eine Standsicherung zu finden sein. Ich schaue mich um, sehe in erster Linie die weiterführende Rinne, aber nichts passendes zum Standplatzbau. Mist – so'ne blöde Route... Dann fällt mein Blick doch noch auf die beiden Bohrhaken in oxidierter Tarnfarbe mit dem umgebenden Fels – Standplatzbau und ,,naachkommen!". Endlich haben wir einen vermuteten Synchronisationspunkt mit dem Topo! Den weiteren Anstieg empfinde ich nun relativ angenehm, auch wenn mir wieder kein Eisen ,,ins Auge springt" – wofür klettern wir hier eigentlich mit Seil? Es wird wieder Zeit nach einem Standplatz Ausschau zu halten, ich entscheide mich für einen zarten Felshöcker mit umgelegter Bandschlinge und hole ,,das Seilende" nach. Offenbar muss ich meinen Blick noch schärfen, denn kaum ist almrausch heroben und wir diskutieren kurz hinsichtlich des Standplatzes, so fällt ihr auch schon eine schöne große Sanduhr auf, wenn auch mit recht schmalem Schlitz. OK, dann bauen wir um – und weiter geht's für mich hinauf. An möglicherweise(?) vorhandenen Haken bin ich wohl weiter ,,blind" vorbeigekraxelt, das Gelände legt sich nun zurück, das verfügbare Seil ist bereits wieder einiges ,,nach der Mitte", also – nach einem Bilck aufs Topo – wieder umschauen für einen Standplatz. Mir möchte sich nichts Eindeutigess zeigen, aber inzwischen habe ich's kapiert: Dies ist eine ,,ungepflegte" alpine Route (also ohne für alpine Kletterneulinge eingebohrte Sicherungen), da kenne ich mich aus – und vertraue als Möglichkeit eines stabilen Ankerpunkts ganz einer größeren Latsche...

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Blick aus der Kletterroute hinab zur Steinbergalm und das Inntal hinaus

Die nächste ,,Seillänge" ist nicht nur nach Routenskizze eine 2, auch optisch ist leicht aufwärts ein schrofiges Band zu erkennen – und die ,,Ausstiegsrinne" mit eingelagerten Felsblöcken. Hier darf dann almrausch mal voraus, ich folge ihr ausgebunden, mache endlich mal einige Fotos und versuche wieder einmal die Skizze mit der Realität abzugleichen, um für die letzte Steilstufe in der Rinne den vermerkten Standplatz zu finden. Am Ende stehe ich wohl zu dicht davor, von weiter unten kommt der Ruf: ,,Da ist der Haken!" Etwas erhöht vor mir sind in der Rinnenwand zwei Ringhaken eingelassen, einen der beiden vermerkten Zwischen-(Schlag)Haken finde ich diesmal problemlos zum Klippen, dann stehe ich auch schon oben kurz unterhalb des Gratverlaufs, vertraue als Standplatz wiederum der Zähigkeit einer Latsche – und schaue dabei durch eine wirklich ,,große Sanduhr" auf den Hintersteiner See hinab. Geschafft! Noch etwas auf dem (markierten) Riegensteig dem Westgrat aufwärts folgen und wir stehen wieder auf dem ruhigen Gipfel vom Zettenkaiser (1968 m, ca. 16:00 Uhr).

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Blick durch eine "grosse Sanduhr" (Felsenfenster) auf den Hintersteiner See

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Blick vom Zettenkaiser zum ,,grossen Bruder" dem Scheffauer

geroldh

Wie in der Vorwoche hat almrausch nun genug vom Klettern und wählt wieder den markierten Normalweg Riegensteig hinab, während ich – das Seil ohnehin im Rucksack – wieder zum Westgrat abbiege. Die Schwierigkeit liegt ,,nur" bei 2 (einige Passagen) und für die kurze Stelle A0 muss ich extra wieder das Seil aufmachen, der Rest ist viel 1er und Gehgelände. Wie es Markus Stadler vom Routencharakter beschreibt: Eine nette Gratkraxelei halt – immerhin mit Erstbegehung bereits im Jahr 1896.
Puh, obwohl bereits später Nachmittag, so ist es heute fast ganz ohne Wind ziemlich warm in der späten Sonne, ab dem Zwischengipfel Grüblerkaiser (1749 m) verschwindet der Steig auch noch zwischen den Latschen und der nordseitige Latschenschlurf ist immer noch feucht. Das Hochegg (1470 m) ignoriere ich auch heute und strebe auf dem nun einsamen Wandersteig der Steinbergalm entgegen, lockt doch dort ein erfrischender Almbrunnen. Noch einige Fotos im warmen Licht der Vorabendsonne gemacht, dann ist die Kaindlhütte wieder erreicht (19:00 Uhr) und endlich der Zeitpunkt für die hopfige Tourenbelohnung gekommen.

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Auf der Steinbergalm

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Auf der Steinbergalm

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Auf der Steinbergalm

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Steinbergkapelle bei der Kaindlhütte mit Scheffauer und Zettenkaiser

Nun geht es auf dem Radl flott hinab in den Graben, dann den Gegenanstieg relativ gemütlich hinauf zum Brentenjoch – noch einmal abgestiegen zum Fotografieren der nun schön ausgeleuchteten Westkaiser-Nordflanke. Ab dann gibt es kontinuierlich heiße Bremsscheiben, die erst unten in Kufstein, bzw. im kaum besetzten Zug (Abfahrt 20:59 Uhr), wieder die Umgebungstemperatur annehmen.

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Blick vom Brentenjoch hinüber zur Steinbergalm mit Scheffauer und Zettenkaiser

Fazit der Kletterroute nach einigen Tagen: Durch den festen Felsen (wenige Feuchtstellen) eigentlich eine gute und nette alpine Anfänger-Kletterroute. Um einen möglichen Sturz abzufangen, müsste man mit Keilen und Friends weitere Sicherungspunkte aktiv legen. Derzeit hat diese Route keine Ausstattung wie im Klettergarten. Für uns war das Seil überwiegend genutzt für einen gesicherten Nachstieg, ansonsten wenn man die UIAA III sicher klettern kann, man noch etwas Reserve hat – sich vor einem ausgesetzten Blick nicht scheut – ist diese Route nach einem ersten Kennenlernen fast angenehmer in freier Kraxelei zu bewältigen...