15.04.2022: Brandenberger Alpen: Via „Wilder(er)Steig“ durch die Pendling Ost-Wand Ob dort, in diesem steilen und südostseitig ausgerichteten Gelände, in den vergangenen Jahrhunderten die Wilderer umtriebig waren, ist mir zwar nicht bekannt, aber davon ist wohl auszugehen. Einen (erkennbaren) Steig gibt es dort jedenfalls nicht, das Gelände ist durchwegs ursprünglich „rustikal“ gehalten – und somit als unerschlossen „wild“ anzusehen. Allerdings bietet es mindestens zwei „Aufstiegsmöglichkeiten“ (ohne einen Menschen zu begegnen):
Als ich vor vielen Jahren mal die Info aufgeschnappt hatte, dass durch diese markante Wand des Hausbergs von Kufstein eine (neue) Kletterführe gehen sollte
(Erstbegeher: Zehetner, Lang, Schönauer am 24.9.1994), hatte dies zwar kurzzeitig mein Interesse geweckt, war dann aber zugunsten anderer Bergfahrten wieder im Hinterkopf verschwunden. Und dies war mit Sicherheit auch gut so, denn heute ist mir dank der modernen Medien bewusst, dass diese Kletterroute, als
Weg der drei Hodalumpen (UIAA VII - Wandbild) bezeichnet, ein paar Nummern zu groß ist.
Sie sei vom Charakter her eine „häufig botanische Alpinkletterei. Ein alpines Abenteuer für Locals, denen die Wand schon lange ein Dorn im Auge ist.“
Demzufolge wurde und wird sie wohl eher selten „begangen“ – und offenbar nie „gelobt“. Ein durchaus als „alpiner Allrounder“ bekannter Zeitgenosse schreibt in seinem Berg-Blog
(Mai 2007) von einem Zustieg = „mühsam !“, einem Einstiegsbereich = „gruselig !! und so blieb es bis zum Ausstieg !“ sowie „von 22 Seillängen, ... nur 4 die den Namen Kletterei verdienen, der Rest abenteuerlich (gefährlich)” und er sei „froh, wieder gesund & munter Daheim zu sein !!“ von dieser „Horrortour“.
Jahre später ist sogar von einem
Unfall in der Pendling-Ostwand (April 2014) zu lesen: „... Im oberen Bereich der Wand auf einer Meereshöhe von 1241 m brach plötzlich ein Griff aus und der 22-Jährige stürzte, mehrmals am Fels aufschlagend, ca. 25 m in das Seil“, was mehrere Knochen-Brüche und eine Hubschrauber-Bergung zur Folge hatte.
Und was hat es nun mit der anderen „Aufstiegsmöglichkeit“ auf sich?
Pendling von Kufstein gesehen (mit der Festung Kufstein) (Quelle: Wikipedia) Eigentlich ist diese mehr als offensichtlich, wurde sicher bereits unzählige Male „gesehen“ (d.h. diese „Wand“ steht bei jeder Fahrt ins Gebirge so dermaßen penetrant im Blickfeld…) – doch möglicherweise als „Aufstiegs-Linie“ kaum wahrgenommen (d.h. diese „Wand“ ist in zwei Etagen aufgeteilt, die durch ein markantes Wald-Band getrennt sind...). Und wenn doch, dann vielleicht nicht in ihrer (kompletten) Form ausgeführt, denn eine (sichtbare) Dokumentation darüber scheint es keine zu geben (sollte ein Leser mehr dazu wissen, dann bitte um Rückmeldung), auch (aktive) Begehungsspuren des Homo Sapiens oder ein „Wandbuch“ sind mir keine aufgefallen. Na ja, womöglich ist dies hier dann zumindest die „Internet-Erstbegehung“ einer echten Abenteuer-Route mit später herrlichem Blick auf Kufstein und das Inntal – jedenfalls wenn das Wetter passt.
Für unsere Erkundungstour der angedachten Linie hatten wir noch feuchte Witterungsbedingungen, aber für mögliche Schwierigkeiten im Aufstieg – sowie für einen geordneten Rückzug – eine gute Ausrüstung dabei (wollten wir auch an diesem Karfreitags-Feiertag keine „Kunden“ der Bergrettung werden): Neben Klettergurt, Klimbim und 60m-Halbseil sogar einen (Gras)Pickel für steilere Flanken. Gebraucht haben wir davon – nix.
Kein Wunder also, jetzt da ich „den Weg“ mit seinen Eigenschaften kenne, ich mir eine Wiederholung mit leichtem Gepäck bereits fest vorgenommen habe...
Wer diese Tour als „Nachahmungstäter“ begehen möchte, sollte sich im Klaren sein, dass es keine „Wanderroute” ist. Ohne Verhauer und bei „richtiger“ Routenwahl sehe ich die allg. Begehungsschwierigkeit bei T5 mit kleineren Kraxeleinheiten im Bereich von UIAA II – nach oben hin allerdings offen... Eine gewissenhafte Vorbereitung* und später alpine Erfahrung, gutes Orientierungsvermögen und zuverlässige Trittsicherheit, sowie eine gewisse Ausdauer sind hier unbedingte Voraussetzung für ein genussvolles Gelingen.
Wichtiger Hinweis: Dies ist ein Erlebnisbericht – und KEINE Tourenempfehlung! Wer dort hingeht, tut dies auf eigene Verantwortung – und wer sich dort versteigt, ist selbst schuld...
*Als gute Vorbereitungsmöglichkeit bietet sich analog zum BayernAtlas auf bayerischer Landesseite jenseits der Grenze der Kartendienst
tirisMaps, das geografische Informationssystem des Landes Tirol, an. Durch entsprechende Hintergrundauswahl (hier Orthofoto) und dem gezielten Einblenden weiterer Layer (hier z.B. Höhenlinien nach dem digitalen Geländemodell) lässt sich ein guter Überblick von einem unbekannten Gebiet herausarbeiten – und sich später auch im (Steil)Gelände gut orientieren, dort wo GPS-Signale durch Abschattung und Reflexion bei ihrer Genauigkeit versagen. Ergänzt mit einem detailreichen Wandbild, und entsprechendem räumlichen Vorstellungsvermögen, ist eine Tourenmöglichkeit schon ausreichend gut abgeschätzt, vergleichbar mit einem Topo. Aufmerksamkeit, Erfahrung und Orientierungsvermögen im Gelände bilden dann einen weiteren wichtigen Baustein – auf „Wischbrett-Navigation“ kann dann verzichtet werden.
Pendling vom Süden Kufsteins aus gesehen (Nähe Bauernhof Hörfing) (Quelle: Wikipedia) Genau in Bildmitte beginnt der weglose Anstieg – von hier optisch gesehen einem „S“ nach oben folgend.
Link zur Originaldatei (4.988 × 3.174 Pixel, Dateigröße: 7,25 MB, Typ: image/jpeg)
Einige frühsommerlich warme Tage mit durch Saharastaub eingetrübtem Himmel liegen hinter uns, in der Nacht soll das Streifen einer schwachen Kaltfront für etwas Regen sorgen, aber spätestens ab (Vor)Mittag sei mit zunehmender Abtrocknung und Auflockerung zu rechnen – was für das Alpenvorland um Rosenheim herum sogar auch gepasst hat.
So haben sich
almrausch und ich erst am späten Vormittag getroffen und wir starten etwa zum Mittagsleuten mit den Muskel-Bergradl vom Parkplatz am
Stimmersee (ca. 550 m), um die mäßig ansteigende Forststraße mit den ausholenden Kehren nach oben zu treten. Von der letzten Kehre aus gäbe es einen letzten Einblick in die hoch über uns aufragende Pendling-Wand, doch heute beginnt wenig über uns nur der Nebel. Im Bereich eines kurzen Abzweigers auf etwa 680 m machen wir unser Radl-Depot und steigen weglos entlang einer alten Abholzungsfläche in südwestlicher Richtung durch den Hochwald leicht bergan. Beim Erreichen eines kleinen Bachbetts folgen wir diesem am südl. Rand nach oben, uns zunehmend weiter links/südlich haltend – es gilt einen im Luftbild markanten „Felstropfen“ zu umgehen. In dessen Umfeld lädt uns eine kleine erdige Rinne ein, mit den ersten Kraxel-Aufwärmübungen die Hände schmutzig zu machen. Dadurch gelangen wir kurz auf einen Geländerücken und stehen bald bei den aufblühenden Aurikeln am Wandfuß auf knapp 900 m (13:15 Uhr) – der Einstieg in die o.g. Kletterroute ist nicht weit entfernt.


Alles um uns herum ist noch feucht, auch die Luft verschafft uns mit ihrer Feuchtigkeit den Eindruck einer Waschküche, aber wenigstens ist es angenehm warm. Wir wollen, solange es gut vertretbar ist, an unserer Erkundung festhalten, notfalls den Rückzug antreten.
Ein Kontrollblick auf den mitgeführten Ausdruck mit dem Orthofoto (Luftbild, in das ich die Höhenlinien nach dem digitalen Geländemodell eingeblendet habe) zeigt, dass wir für unser Vorhaben genau richtig positioniert sind und nun direkt unter der Wand weiter ansteigen können bis wir zum hier etwas wasserführenden Bach zurück gelangen. Zivilisationsmüll aus Plastik, absichtlich oder unfreiwillig oben beim Pendlinghaus in den Abgrund gefallen, hat offenbar im Laufe der Jahre seinen Weg hierher gefunden – auch ein alter Bergstiefel ohne Schnürsenkel rottet im Wasser vor sich hin. Ein Fuß steckt keiner mehr drin, doch unweigerlich kommt mir die tragische Geschichte um die aufgefundenen Überreste von Günther M. in den Sinn...


Da die hiesige Seite trotz des Baumbestandes zu steil ist, gewinnen wir jenseits des kleinen Grabens weiter an Höhe und wechseln an passender Stelle wieder zurück auf die südliche Seite, um uns nun etwas vom Einschnitt zu entfernen und einen kleinen Rücken zu ersteigen. Dort mit einer kleinen Kraxelstufe weiter ansteigend das untere Ende eines Schuttfeldes erreichend, bemerke ich oben auf einer kleinen Felskante einen exponiert gelegenen Jagdstand, und im Gelände weiter oben die offensichtliche Möglichkeit eines (Not)Ausstiegs in Richtung des östlich gelegenen Jägersteigs, der nach dem „Gipfelerfolg“ unseren Abstieg ermöglichen soll.
Wir orientieren uns nun weiter ansteigend in südlicher Richtung, um die Eng- und mögliche Schlüsselstelle mit einer markanten, von oben herabziehenden Rinne zu erreichen, die sich im Kreuzungsbereich mit der Kletterroute befindet und für beide Anstiege ziemlich genau „die Halbzeit“ markiert (ca. 1200 m / 14:30 Uhr). Mal sehen, vielleicht lasse ich dort am geschützten Wandfuß bei meiner nächsten Begehung ein „Wandbuch“ zurück...

Oberhalb dieses Punktes ist die Rinne mit altbackenem Schnee gefüllt (von Tal aus als Referenz sichtbar) und bildet beizeiten den neuralgischsten Punkt bzgl. Lawinen- oder Steinschlaggefahr. Hier macht es uns die Nässe auf dem umgelegten Gras nicht einfach aufzusteigen, wir schlagen uns etwas „in die Büsche“ und streben weiter oben linkshaltend dem strukturierten Geländerücken zu. Auf diesem wird dann flott Höhe gemacht – ein weiterer kurzer Regenschauer geht über uns hernieder – und nach einer Stunde wird genau passend der Ausstieg auf etwas über 1400 m erreicht, den ich bei unserer letzten Tour vor drei Wochen bereits von oben her erkundet hatte.
Der nun folgende Anstieg ist uns bekannt und bald können wir auf einem „Jaga-Bankerl“ (sogar mit kleinem Beistelltischchen ausgestattet) Platz nehmen und mit den herauf getragenen Bierflaschen auf unseren Durchsteigungserfolg anstoßen. Anfangs schauen wir geradeaus durch ein paar Baumwipfeln hindurch noch auf eine gleichförmig graue Nebelwand, doch dann – es ist bereits um 16:00 Uhr – wird das Inntal frei und wir blicken zwischen unseren Füssen hinab auf den (Segel)Flugplatz Kufstein-Langkampfen sowie auf die hässlichen Dächer der Fertigungshallen des Industriegebiets.
Die Sonne streift uns nur noch von der Seite, es wird kühl und das “aussichtslose“ Gipfelkreuz des
Pendling (1563 m) links liegen lassend, gehen wir am heute nicht-bewirteten Pendlinghaus (auch Kufsteiner Haus genannt) vorbei und beginnen auf dem nun fast schneefreien, aber durch die Nässe ziemlich rutschigen Jägersteig entlang des Ostgrates unseren Abstieg. Dieser steile Steig ist allenfalls marginal von unten herauf markiert und man darf weiter unten im Wald schon genau hinschauen, um die manchmal nur schwachen Steigspuren – mal nach links, bald wieder nach rechts abknickend – zu erkennen.
Ich habe mir vorgenommen die Augen auch bezüglich des möglichen Zugangs zum im Aufstieg gesehenen Jagdstandes auf der kleinen Felswand offen zu halten, und tatsächlich im geeigneten Gelände entdecken wir neben einer fast verblassten Markierung auch ein kaum sichtbares Steiglein. Diesem folgen wir ohne Rucksäcke ein gutes Stück ins Gelände hinein, doch irgendwann verläuft es sich und bis zum „Jagd-Horst“ bzw. der in der Nähe liegenden (Not)Ausstiegsmöglichkeit ist es einfach zu weit – ein anderes Mal vielleicht, wir kehren um, den als Jägersteig benannten Pfad weiter absteigend. Die Beine bzw. Knie freuen sich, als wir den kleinen Forstweg und alsbald auch die geparkten Räder erreichen.
Während wir etwas später bei Speis und Trank unseren Bergerfolg „feiern“, geht wieder ein Regenschauer hernieder – doch nun macht er uns noch viel weniger etwas aus...